"Wir brauchen ein Jahrhundert der Vernunft!"

Der vorliegende Beitrag sucht, nachdem der Alltag wieder in Politik und Gesellschaft zurückkehrt, den Dialog mit der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Ein Alltag, der den Opfern der zivilen Katastrophe in den Vereinigten Staaten nicht gerecht wird, wenn es darum gehen soll, den Terror neuer Qualität mit der alten Politik fortzusetzen. Ein Dialog, der notwendig ist, wenn wir erkennen, dass wir alle, die wir Opfer sind, nicht nur betroffen sondern in Verantwortung sind. Denn dieser Anschlag war nicht etwa ein Angriff auf die "zivilisierte Welt", sondern auf die zivile Entwicklung der gesamten Menschheit.

Der Grund, warum wir nicht, wie es in Parteien üblich ist, die Nachdenklichkeit nur beschließen, sondern sie mit diesem Beitrag außerhalb der Beratungszimmer fortführen, ist unsere Überzeugung dass wir die Menschen jetzt brauchen. Wir wissen, dass in Wirklichkeit keine Partei in der Lage ist die Verantwortung für deutsche Außenpolitik und globale Entspannung alleine zu tragen. Verfaßt wurde dieser Beitrag von sehr unterschiedlichen Menschen einer jüngeren Generation einer Partei, die auf die Erfahrung des Krieges verzichten möchte. Unterstützt wird er von erfahrenen Menschen, die in politischer Verantwortung stehen und standen. Wir werden uns als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten auch weiterhin mit Vorschlägen für eine moderne Innen- und eine neue Außenpolitik einbringen, doch zunächst möchten wir Antworten für eine angemessene Reaktion auf die Ereignisse in den USA finden. Zwei unterschiedliche Generationen einer modernen sozialistischen Partei in Deutschland mahnen nicht nur zu Besonnenheit, sie entwickeln andere Wege statt blutleerer Bündnisformeln, welche scheinbar nicht mehr in der Lage sind, der Welt Gleichgewicht und den Menschen das Recht auf ihre Unversehrtheit zu garantieren.

Weil Außenpolitik von Interessen gemacht wird, weil es verantwortungslos ist, Menschen mit dem innenpolitischen Ghetto eine Sicherheit zu versprechen, die nicht existiert, solange wir nicht eine für die Menschheit zuverlässige Balance entwickeln. Wir werden nicht, wie von einfallslosen politischen Gegnern gewünscht, unsere Beunruhigung durch Blankoschecks für Außenpolitik überspielen. Es hilft nicht, wenn mehr als ein Jahrzehnt nach dem hoffnungsfrohen Fall des Eisernen Vorhangs die Zahl der bewaffneten Konflikte zugenommen hat, wenn die sensible internationale Rechtsordnung verletzt wurde, Verträge nicht mehr eingehalten werden. Dann hat die besondere Verantwortung deutscher Außenpolitik versagt. Sie besteht aus der Garantie von Sicherheit durch Balance, und dies mitten in Europa, wo einst eine Grenze verlief. Weil wir der Nabel zweier Weltsysteme waren und immer noch das Scharnier zwischen sehr unterschiedlichen Interessen sind, können wir nicht wegsehen. Wenn der Terror und ein Militärbündnis aus dem kalten Krieg die Welt heiß machen, dann braucht es kühle Köpfe.

Wir debattieren nicht mit Feindbildern, wir wissen nicht wenige Augenblicke nach dem Anschlag bereits alle Antworten, wir denken nach und verheimlichen dies nicht. Soviel sei gesagt, auch wenn es uns etwas kosten sollte, werden wir nicht der Fortführung der alten NATO-Politik das Wort reden.

Sind Flugzeuge, die als Marschflugkörper in Hochhäuser rasen, von den Fernsehapparaten minütlich demonstriert, Ausdruck eines verschärften internationalen Klimas, einer technisch nicht mehr Einhalt zu gebietenden Krise, oder befinden wir uns tatsächlich in Huntingtons "Clash of Civilizations" ?! Wir denken, dass der Autor dieses nun auch von einer breiten, vermeintlichen intellektuellen Leitkultur bemühten Werkes nicht der Prophet einer Realität, sondern ein intimer Kenner der internationalen Gefährdungen durch eine unzulängliche und verschärfende Politik ist. Es ist die sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Die Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft ist den Opfern des Terrors in diesen Tagen gewiss. Es gibt jedoch nur wenige Politiker dieser Tage, den Bundespräsidenten, und etwas mehr Politiker alter Tage, einen Helmut Schmidt oder einen Michail Gorbatschow, die vor der Destabilisation der Ordnung warnten, wenn wir die Chancen einer gemeinsamen, zivilisierten Sicherheitsarchitektur nicht nutzen. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass sie aufgrund ihres besonderen oder des nicht mehr vorhandenen Amtes etwas mehr Freiheit im Denken besitzen. Wir wissen auch, dass die deutsche Außenpolitik die amerikanischen Partner integrieren mußte und wie wenig Spielraum in solchen Momenten existiert. Aber wir sehen die vergangene und zukünftige Verantwortung für eine stabile, gefahrlose, im militärischen Potential gemilderte und der unterschiedlichen Interessen bewusste deutsche Außenpolitik nach wie vor bei der amtierenden Bundesregierung. Die Solidarität mit Amerika besteht auch in der Verantwortung für die Vernunft. Deshalb suchen wir den Dialog mit der deutschen Gesellschaft, ein Angebot, kein Verharren. Wir stehen gerade in schwierigen Momenten zu unserer Überzeugung, eine der Welt verlässliche deutsche Außenpolitik braucht Besinnung, aber diesmal keine Kontinuität.

"Der Regen kehrt nicht zurück nach oben. Nach den Wunden schmerzt die Narbe." (Bertolt Brecht)
Das Trauma
Der 11. September hat die Würde der Menschheit verletzt. In der Metropole der Kulturen New York und in Washington D.C. verloren tausende Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, verschiedener Glaubensbekenntnisse und staatlicher Herkunft an einem Tag ihr einziges und unwiederbringliches Leben. Hoffnungen und Träume der Freunde, Angehörigen und Nächsten wurden zerstört, ihre Leben traumatisiert, ihr Schmerz ist ungerecht und unbegreiflich. Der Akt des Verbrechens geschah am internationalen Tag des Friedens, die UN beabsichtigten an diesem Tag die Eröffnung der 56. Generalversammlung in New York. Wenige Tage später sollte der Weltkindergipfel der Vereinten Nationen stattfinden. Der Terroranschlag richtete sich gegen alle Werte der Zivilität, gegen die Grundlagen des Völkerrechts, gegen Menschenrechte, Demokratie, Freiheit und Solidarität. Selbst die letzten Grundregeln, die Atempausen eines Krieges, sind erstickt worden, indem die Helfer am Turm des World Trade Centers, Feuerwehrleute, Ärztinnen und Ärzte, Polizistinnen und Polizisten, Journalisten und couragierte Menschen, durch eine zweite Maschine des Terrors in den Tod gerissen wurden.

Der Anschlag war augenscheinlich auch, dies dokumentiert das vierte, möglicherweise durch den beherzten Einsatz von Passagieren und Crew zum Absturz über Pittsburgh gebrachte Flugzeug, auf Camp David gerichtet. Der Ort, an dem der Friedensschluss zwischen Israel und Ägypten begann und zwei Friedensnobelpreisträger, der von einem religiösen Fanatiker ermordete israelische Premier Rabin und der Palistinänserführer Arafat, zur Versöhnung schritten. Damals unter Einhalt der Friedensgebote, ohne Missbrauch der Feuerpause durch Siedlungsbau und terroristische Akte. Wenn es, wie es Kofi Annan formulierte, "an attack on humanity as a whole" war, dann ist nun die gesamte Menschheit gefordert.

Unsere Hoffnung ruht auf den Vereinten Nationen. Eine solche Krise muss die Vernunft befördern. Die Einrichtung des Weltsicherheitsrats beispielsweise war ein antifaschistischer Akt nach der Befreiung der Völker aus den Klauen des barbarischen 2. Weltkriegs. Unser Auftrag Auch in diesen Stunden, in denen es uns noch schwer fällt, die Ohnmacht des Fühlens mit der Notwendigkeit des Denkens zu verbinden, sind wir in unseren Gedanken bei den Leidenden. Gerade die junge Generation in Deutschland, dies hat der Zustrom in Kirchen, vor US-amerikanischen Botschaften und andere Orte der Gemeinsamkeit gezeigt, ist tief verletzt von den Ereignissen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie sind betroffen und konzentrieren sich auf die Politik, weil auch sie sich verletzbar wähnen. Ältere Menschen fühlen Angst und Verbitterung in Gedenken an die Geschichte von Krieg und Zerstörung. Diese Ereignisse lassen uns nicht weiter leben wie bisher. Die letzten Tage waren wahrscheinlich die nachdenklichsten der jüngeren Vergangenheit.

Dennoch mehren sich zu schnell die Stimmen, die schon wieder Worte von Vergeltung, von Rache, von nationaler Identität und Macht im Munde führen. Die inhaltslose Beschwörung von Bündnissen bringt uns nicht weiter im vereinten Kampf gegen die Zerstörung des Lebens. Wir appellieren daher an die Verantwortung in Politik und Gesellschaft, die dem Schutz ihrer Bevölkerung und der Werte von Zivilität verpflichtet ist, kühlen Kopf zu bewahren, besonnen zu handeln und die Folgen ihres Tuns zu erkennen. Der Druck auf die westliche Staatengemeinschaft ist enorm. Doch frühzeitige und verantwortungslose Spekulationen, das Zerschlagen diplomatischen Porzellans, ist keine intelligente und verantwortliche Reaktion auf das Geschehene. Dies wurde von Politikern und Medien vielfach und dilettantisch missachtet. Wenn direkt nach dem Anschlag von Journalisten über die Verwicklung von Palästina in das Geschehene gemutmaßt wird, zu einem Zeitpunkt , da kein Sicherheitschef eines Geheimdienstes dazu in der Lage gewesen wäre, dann scheinen manche Sendestationen mit der journalistischen Verpflichtung zur Sorgfalt überfordert. Der Kosovokrieg hat die Rolle der Medien für die alte Wahrheit "im Krieg stirbt immer zuerst die Wahrheit" tragisch verdeutlicht. Medien sind Garant der Demokratie, sie sollen in erster Linie Aufklärung betreiben, nicht Politik.

Zudem sind wir entsetzt, wie schnell Parteien in Deutschland in der Lage sind, das Geschehene für ihre Überzeugungen und Haltungen zur Politik der NATO zu missbrauchen. Wir werden niemandem die Trauer absprechen, das ist nicht unser Recht. Doch wir erwarten das Gleiche für all jene in Deutschland, die eine mahnende Haltung gegenüber der Eskalation einnehmen. Wir pflegen Wirtschaftsbeziehungen, Wissenschaft und Kultur in globaler Dimension. Doch wir sollen im 21. Jahrhundert immer noch dazu verdammt sein, politische Interessen mit der Bekämpfung der eigenen Zivilisation zu erwirken?! Wir haben immer für eine andere Globalisierung, die Globalisierung sozialer Rechte gestritten, nun müssen wir scheinbar für die globale Unversertheit der Zivilbevölkerung streiten.

Die Welt danach
Die mächtigste Nation der Erde war noch nie so verletzlich wie heute. Denn heute ist uns allen klar, dass es niemals einen absoluten Schutz vor der Waffe des Terrors gibt. Keine waffentechnische Intelligenz, kein Sicherheitsapparat der Welt wird der Grausamkeit von fanatisierten Menschen Einhalt gebieten. Wir wissen nun, dass unser Eintreten für die Rechtspflege internationaler Verträge und Abkommen, und gegen das Projekt einer National-Missile-Defense (NMD) richtig war. Sie bietet keinen Schutz. Sie wird jene Extremisten in ihrem Entschluß bestärken, Amerikas Zivilisten zu treffen, wenn Amerikas Militär und Amerikas Politik nicht mehr verhandelbar sind. Dies ist ein Auftrag an eine neue Politik. Wir können nicht weiter machen wie bisher. Denn es ist kein Zufall, dass der Terror heute diese Qualität hat. Wer die Entwicklung hin zu einer unipolaren Sicherheitspolitik fortführen will, muss beantworten, wie er dies gegenüber den zivilen Opfern des Terrors verantwortet.

Auch die Gefahren einer wirtschaftlichen Rezession sind eminent. Wir brauchen dagegen keine Anhebung der Verbrauchssteuern, sondern endlich angemessene Konjunkturpolitik und "progressive economy". Die neoliberale Substanz des wirtschaftspolitischen Denkens hat versagt, die Finanzmärkte und Institutionen der modernen Geldwirtschaft müssen wieder auf den wirtschaftlichen Kern orientiert werden.

Neues Denken
Außenpolitik wird von Interessen geleitet. Dies war und wird auf absehbare Zeit nicht anders sein. Weder US-amerikanische noch deutsche, russische, chinesische oder arabische Außenpolitik kann für sich beanspruchen, nicht gegen die Werte von Humanität und Stabilität verstoßen zu haben. In diesem Wissen gibt es nur eine Möglichkeit den, Terror zu besiegen: Balance und Entspannung. Wenn Staaten nicht mehr miteinander reden, regiert die Sprache fanatischer Kräfte. Deshalb ist es unerlässlich, die arabischen Staaten, die islamische Staatengemeinschaft, in Respekt vor ihrer ehrlichen Betroffenheit, in die Verfolgung der Täter einzubinden. Die Mehrheit der islamischen Staaten hatte kein Interesse an diesen Ereignissen. Es kann auch niemand von arabischer Politik verlangen, Fanatiker zu kontrollieren, wenn wir sie durch Isolation damit überfordern.

Die Welt hat nur ein gemeinsames Sicherheitskonzept, die in den letzten Jahren vorsätzlich geschwächten und gedemütigten Vereinten Nationen. Sie brauchen unbestritten eine Reform hin zu mehr Demokratie und Kooperation, denn das Ende des kalten Krieges gab uns die Möglichkeit, Blocksolidaritäten zu überwinden. Internationale Konferenzen wie Seattle, die zeitweise Emanzipation der Entwicklungsländer, haben dies gezeigt. Deshalb wollen wir die Rückkehr zu den bedrohten Vereinten Nationen, bei Entwicklung ihres Charakters. Wir möchten die Rechte der Vollversammlung stärken und die internationalen Mächte beschneiden. Aber ihre Balance wird auf absehbare Zeit noch von Bedeutung sein. Ein Vetorecht im Sicherheitsrat wird daher mittelfristig Bestand haben. Doch die Zuständigkeit der Vollversammlung muss deutlich aufgewertet werden, bei Verteidigung des Völkerrechts muß zunächst die gesamte Staatengemeinschaft befragt werden. Befördern würde das gegenseitige Vertrauen und den Abbau militärischer Strukturen, eine Armee ohne nationale Verfügungsgewalt unter hoheitlicher Aufsicht der UN. Eine solche Armee hätte mit Sicherheit mehr zur Befriedung des Balkans beigetragen als die mit ihrer Unterstützung für die UCK zündelnde NATO. Die Stärkung der Vereinten Nationen ist daher auch jetzt die einzige vernünftige Antwort auf den Terror, wenn die Staatengemeinschaft gemeinsam effektiv und zielgerichtet mit polizeilichen Maßnahmen terroristische Strukturen bekämpfen will.

Vergeltung ist aus gutem Grunde völkerrechtswidrig, aber auch sinnlos. Denn wir sollten nicht die Autarkie des Netzwerkes vergessen. Wenn wir Terroristen ihren ideologischen Nährboden entziehen wollen, dann brauchen wir nicht nur eine Überwindung der Gegensätze zwischen Nord und Süd, Arm und Reich, der Politik von Unterentwicklung und Darniederhaltung der produktiven Entfaltung der Regionen, sondern eine stabile Integration. Wer auf den Dialog verzichtet, kapituliert vor dem Krieg.

Wie der Schröder-Putin Dialog und die russische Tschetchenienpolitik zu bewerten sind, wird sich erst noch erweisen. Die Tschetchenienpolitik war Ausdruck der russischen Interpretation von NATO-Osterweiterung und NATO-Politik im Kosovo und zum Teil Reaktion auf realen Terrorismus. Unsere Partei hat diese unverhältnismäßige Politik gegen Zivilisten dennoch immer scharf verurteilt. Die "differenzierte Bewertung" Schröders ist nicht gleichbedeutend mit der Wiederbelebung multilateralen Handelns, sondern kann auch ein Tauschgeschäft für die zukünftig freie Interpretation von Terroristen durch den Westen und Rußland sein. Dies bedeutet nicht mehr, sondern keine Regeln. Wir besitzen keine Politik der ehrenwerten Motive. Dann benötigen wir zumindest eine Politik, die sich angesichts dieser Gefährdung auf echte Regeln verständigt. Auch deshalb stehen wir für die Forderung, Multilateralismus zum Verfassungsprinzip einer denkbaren europäischen Verfassung zu erklären.

Die alten Fehler
Wir respektieren und akzeptieren den in Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages festgelegten Verteidigungsfall der NATO, in der Anerkennung, dass ein solches Militärbündnis derzeit besteht. Nur - er liegt nicht vor. Dies war ein Angriff anderer Qualität, keine Kriegserklärung. Kein Militär, aber tausende ziviler Opfer. Keiner darf guten Gewissens auf diesen Einschnitt in die Geschichte mit den alten Kriegen antworten. Wir brauchen eine Verfolgung und Bestrafung der Täter und ihres Hintergrunds. Intransparente Methoden, der Missbrauch der humanitären Katastrophe in den USA für falsche Interpretationen, gefährdet Weltfrieden. Wenn etwa der Irak, der Sudan oder Libyen als gelegener Gegner vor vermeintlichem terroristischem Hintergrund erscheint, so wird die Spirale der Gewalt nicht nur höher gedreht, es wird immer nur Zivilisten treffen.

Im Kosovo etwa wurden Terroristen der UCK unterstützt, die Taliban wurden in Afghanistan gefördert und bislang trotz eines Rückfalls in die Steinzeit geduldet. Der Diktator Saddam Hussein profitierte im Krieg gegen den Iran von der westlichen Unterstützung. Glauben wir denn wirklich, dass es in den ganzen Kriegen um die Ergreifung von Despoten geht? Bomben treffen nicht Despoten. Ein flächenmäßiges Bombardement Afghanistans oder anderer Staaten ist schon allein wegen der zivilen Opfer inakzeptabel, aber es schafft auch neue Unwägbarkeiten. So ist es möglich, dass sich an der 1300 km langen Grenze zu Tadschikistan ähnlich wie durch die UCK im Kosovo diesmal Talibanmilizen in die Flüchtlingsbewegungen einschleusen werden. Die Reiseveranstaltung der UCK mündete im Mazedonienkonflikt. Und dieses Mal? Taliban in Tadschikistan?! Deshalb warnen wir vor dem Mißbrauch des Verteidigungsfalls. Dies wird weiteren Mißbrauch nach sich ziehen, neue Gegner produzieren und die Zivilbevölkerung niemals schützen. Niemand hat daher das Recht, den Gegnern einer NATO-Operation die Sorgen abzusprechen. Wir wehren uns gegen die Aufteilung in Pazifisten und internationale Realisten. Man muß kein Pazifist sein um Kriege nicht zu akzeptieren.

Es gibt auch politische Gründe und neben ehrenwerten Motiven auch intellektuelle Anstrengungen, die zur Ablehnung eines Krieges führen dürfen. Die Verantwortlichen des 11. Septembers müssen verfolgt werden, von einer Anti-Terror Einheit der Vereinten Nationen, von den Polizeibehörden der Vereinigten Staaten, ihrer Partner und den Völkern der Welt. Doch den Terror der Zukunft kann doch nur die Diplomatie und das Recht besiegen. Geben wir die Zivilität nicht den Tätern Preis.

Deutschland trauert?
Es scheint Kräfte in Deutschland zu geben, die den Angriff aufs schändlichste missbrauchen zur Mobilisierung gegen eine offene Gesellschaft. Die meisten Vorschläge, die gegenwärtig in der Debatte sind, laufen auf eine Einschränkung der Freiheitsrechte, des Rechts auf Asyl und Einwanderung hinaus. Sie haben weder juristisch noch politisch mit Terroristen zu tun. Terroristen agieren weltweit, "mit und ohne Green Card." Deutschland wird als Ruheraum für Terroristen gehandelt, nicht weil es ihnen hier zu gut erginge, sondern weil sie sich in aller Regel auch ruhig verhielten. Da hätte auch eine "Regelanfrage beim Verfassungsschutz anlässlich der Einbürgerung" nichts genützt. Sie wollten keine Einbürgerung, und der Verfassungsschutz wusste nichts. Wir stellen uns schützend vor unsere friedlichen Mitbürger arabischer Herkunft oder islamischen Glaubens. Es darf keinen Generalverdacht geben.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang noch einmal darauf, dass es Horst Mahler, Rechtsanwalt der NPD, war, der die Akte des Terrors in den USA begrüßte, während die Moscheen in Freitagsgebeten Solidarität mit den Opfern des 11. Septembers übten.

Wir unterstützen die Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz, weil ein solches Privileg nicht länger zu begründen ist. Für niemanden. Auch die Ausweitung der Flugsicherheit, so teuer sie ist, muss gewährleistet sein. Überdies begrüßen wir die Ankündigungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesbankpräsident Ernst Welteke das Bankgeheimnis neu zu diskutieren. Es ist ein gesellschaftspolitischer Skandal, dass die Terrorismusbekämpfung über den Abbau genereller Bürgerrechte wie einen unbrauchbaren Terrorismusparagraphen organisiert wird, aber deutsche Banken unbehelligt mit Terrorgeld arbeiten dürfen.

Wenn aber die Zusammenführung polizeilicher und militärischer Aufgaben gefordert wird, wenn also Notstandsgesetze und veraltete Terrorismusparagraphen installiert werden sollen, wenn über den Ausbau scheinbar unfähiger Geheimdienste, statt der Modernisierung der Polizeistrategie, über einen nationalen Sicherheitsrat mit Verfassungsrang, statt der Verteidigung der Bürgerrechte, gegen echte Bedrohung mit Schattenboxen reagiert wird, dann ist die PDS auch die libertäre Partei in Deutschland. Wir sind verletzlich! Sagen wir den Menschen die Wahrheit: In Hamburg, London, Mailand, Allicante. Aber dann lassen Sie uns etwas Vernünftiges tun, und uns nicht belügen.

Wir empfehlen daher eine besonnene Reaktion auf die humanitäre Katastrophe in den USA:

  • die Einbindung der islamischen Staatengemeinschaft in internationales Handeln zu gewährleisten
  • Operationen nur auf Grundlage der effektiven und punktuellen terroristischen Bekämpfung vorzunehmen
  • Anti-Terror Maßnahmen nur im Rahmen der Vereinten Nationen zu erwägen
  • eine Beteiligung deutscher Truppen an strategischen Operationen der US-amerikanischen Partner auszuschließen
  • Multilateralismus zum europäischen Prinzip zu erklären
  • den Einsatz der Bundesregierung für diese Ziele glaubhaft zu dokumentieren Wir rufen die Bundesregierung auf:
  • zur Sorgfaltspflicht gegenüber unseren arabischen Mitbürgern. Sie brauchen jetzt unseren Schutz.
  • Deutschland unbeirrt auf dem Kurs von Weltoffenheit, Modernität und Einwanderung zu belassen.
  • Wir fordern unsere im Wahlkampf um Berlin beteiligte Partei auf:
  • einen stillen und nachdenklichen Wahlkampf zu führen
  • einen letzten Teil der Wahlkampfaufwändungen den Traumatisierten von New York, Washington D.C. und Pennsylvania zu stiften. Wir brauchen einen Neuanfang Das World Trade Center war nicht nur ein Bauwerk der Finanzmärkte, es war Lebensmittelpunkt und Arbeitsstätte vieler tausender Menschen. Spätestens mit dem 11. September ist es das Wahrzeichen der New Yorker. Der Neuaufbau des World Trade Center kann zu einem Symbol des Neuanfangs werden. Durch die Beteiligung von Architekten und Bauarbeitern vieler Metropolen der Welt am Wiederaufbau - so auch aus Berlin - könnte ein Zeichen für das Zusammenleben der Kulturen und Religionen gesetzt werden. Die Grenzen verlaufen nicht zwischen Ländern, Kulturen oder Religionen, sondern zwischen den friedliebenden Menschen und der Gewalt! Das World Trade Center wird wieder stehen!

Autoren: Fabio de Masi, ehem. Bundessprecher des PDS-Jugendverbandes, Student Rouzbeh Taheri, Mitglied des Parteivorstandes, Student Daniel Bartsch, Mitarbeiter Parteivorstand, Politologe
Unterstützer: Prof. Lothar Bisky, Fraktionsvorsitzender der PDS-Brandenburg Prof. Peter Porsch, Fraktionsvorsitzender der PDS-Sachsen, stellv. Parteivorsitzender Ralf Christoffers, Landesvorsitzender PDS-Brandenburg Hanno Harnisch, Pressesprecher des Parteivorstandes Heinz Vietze, Parlamentarischer Geschäftsführer der PDS-Brandenburg Matthias Gärtner, stellv. Fraktionsvorsitzender der PDS-Sachsen

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