Liebe Familie, liebe Freunde,
aus den USA hoert ihr derzeit kriegsluesterne Nachrichten am laufenden Band,
dem wollten wir einen kleinen Stimmungsbericht entgegenhalten.
Cora, Jonathan, Tinu und ich waren gestern auf der Friedensdemo
in San Francisco und fuehlten uns sehr wohl in der Masse (von Veranstaltern
hiess es 200.000, offizielle Stellen - und auch die New York Times -zaehlen
wie immer geiziger) des anderen Amerika. Schon in der gerammelt vollen Strassenbahn
erzaehlte mir eine aus Marin County angereisten Frau, sie sehe viel mehr Bewegung
gegen diesen Krieg als vor 12 Jahren (damals stand ich mit Cora im Kinderwagen
auf dem Tuebinger Marktplatz, die Kinder werden groesser, ansonsten ist der
Fortschritt bescheiden...)
An Embarcadero tauchten wir aus dem Untergrund auf und ein in die riesige, bunte,
laute, friedliche Menge. Tinu und Joni waren ganz stumm von all den Eindruecken.
Der Marsch ging von Embarcadero die Marketstreet entlang bis zum Civic Center,
eine Strecke von 10 Blocks, die man auch in heftiger Shoppingsaison leicht in
20 Minuten laufen kann. Wir waren 3 Stunden unterwegs, und schafften es nicht
mal bis ganz zum Civic Center, so viele Menschen waren auf der Strasse!
Weil San Francisco eben San Francisco ist, reichte das Spektrum von der Unitarian
Church in Redwood City bis zu den transsexuellen lesbischen Veganern. Wir liefen
neben einer Frau mit 5 Wochen alten Baby im Brusttuch, vor bestimmt 100 "Women
in Black", unter einer riesigen Friedenstaube, hinter einem gealterten Schwulenpaar,
mit einer in langes seidenes Rosa gehuellten, nicht unbedingt gender-festgelegten
Prinzessin auf Stelzen, an Jongleuren und Trommlern und Bauchtaenzerinnen und
mexikanischen undokumentierten Arbeitern vorbei. Viele Familien waren unterwegs,
mit bunten Friedenszeichen und Luftballons. Ein Kinderwagen hatte ein Plakat,
darauf stand: "Use your words, Mr. President". Eine aeltere Frau lief mit dem
Schild "War is hurtful to children and other living things" - schon in den 60ern
haette sie das rumgetragen, meinte sie, leider. Ansonsten viele ironische und
witzige Anti-Bush-Parolen: A village in Texas has lost its idiot. Annex Texas.
Drop Bush, not bombs. Illegal war for an illegitimate president, Pretzel manufacturers
for Bush: don't bite more than you can swallow (er hat sich doch einmal oeffentlich
an einem Stueck Brezel verschluckt)
Ein paar sehr sexy Teenage-Maedels mit "War is sooo last century" und "send
the boys to us, not to Iraq". Und natuerlich "no war for oil", "how many lives
per gallon", und von einer Fahrradbrigade:" go solar, not ballistic" , "if war
is inevitable, start drafting SUV drivers now". Eine Sekretaerin mit Plakat
im Sci-fi-movie Stil: Coming soon.Golf War Episode II. Clone of the attack.
Natuerlich war allen klar, dass es ernst ist: Ein grosses Bild von einem lachenden
jungen Maedchen mit Kopftuch: "I am not expendable" und oft:" If war is the
answer we're not asking the right question", oder "homeland maturity, not security"
. Die Reden haben wir nicht mehr gehoert, anscheinend waren Joan Baez (die in
Palo Alto aufgewachsen ist) und Martin Sheen (er spielt in einer sehr beliebten
Fernsehserie einen sehr sympathischen, unkorrupten Praesidenten) da.
Tinu kann jetzt Peace! Now! rufen (und hat das heute morgen auf dem Fussballplatz
gleich mal angewendet) und damit beschlossen wir mission accomplished.
Mir ist klar, dass auch 200.000 in der city und 200.000 in Washington D.C. ein
verschwindet geringer Teil der amerikanischen Bevoelkerung ist, dennoch, es
gibt sie, die nicht von CNN und Fox verbloedeten Amerikaner, und sie sind in
grossen Teilen sehr jung, also nicht die Hoffnung aufgeben!
Viele liebe Gruesse, Verena
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