Herbert Braun:

Sex und Gewalt

„Schleppen Sie mir etwa schon wieder eine Grippe an?“, hatte mich meine Ärztin gefragt, bevor sie mich zum zweiten Mal in diesem Monat für eine Woche aus dem Verkehr zog. War mir beim ersten Mal die Verlängerung des Weihnachtsurlaubs gar nicht so unwillkommen gewesen, wollte ich diesmal wirklich gesund werden. Ich stellte meine mit Fruchtsäften, Obst, Bronchientee und Vitaminbomben gefüllten Einkaufstaschen im Flur ab und beschloß sogar, die grauenhaft schmeckenden Antibiotika vom letzten Mal brav aufzuessen, bevor ich mich erschöpft auf das Sofa rollte.
Als das Telefon klingelte, dämmerte es. „Ach, wie niedlich“, meinte Dora, als ich ihr meine Lage klarzumachen versuchte. „Bevor du einen einsamen Tod stirbst, komme ich später mal rum und päpple dich ein bißchen auf. Du hast doch nichts dagegen, daß ich komme?“ Ich dachte an die Apothekerin, die mir mit einem undefinierbaren Blick geraten hatte, mich „gut pflegen“ zu lassen.
„Ja“, sagte ich.
Zurück auf dem Sofa merkte ich, daß ich die Talsohle noch nicht erreicht hatte. Bei jedem Husten schien mein Hinterkopf weggesprengt zu werden, und etwas Komisches mußte mit meinem Kreislauf passiert sein. Daß Schwindel, abwechselnd Hitze und Kälte sowie kalter, klebriger Schweiß zu einer guten Grippe gehören, hatte ich bisher für ein Gerücht gehalten. Vor allem aber fühlte ich mich sehr, sehr müde. Unter meinen beiden Bettdecken schaukelte ich sachte, ein morsches Boot auf flacher Dünung, der Sternenhimmel schaute mit großen Augen herab, und ich trieb auf irgendeinen schwarzen Horizont zu, langsam, langsam. –
Doras Gesicht schmeckte kalt. „Du glühst ja“, meinte sie, „hast du schon gemessen? Du hast mindestens 39.“
Sehr gesund sah sie aus mit ihren roten Backen. Ich schüttelte den Kopf und machte die Augen wieder zu. Von fern hörte ich, wie sie ihre Straßenkleidung ablegte und irgendetwas erzählte. Ich hatte eben einen großen, die Welträtsel vollständig klärenden Gedanken, der sich um das Verhältnis zweier Zahlen drehte, vergessen. War es am Ende besser, allein zu sterben?
Ich zuckte zusammen und maunzte. „O, tut mir leid, meine Hände sind noch ein bißchen kalt“, flüsterte Dora von sehr nah. Das Stethoskop hatte wenigstens keine Fingernägel gehabt. „Ach, du bist so schön warm, man kann sich an dir aufwärmen wie am Ofen.“ Ich bibberte. „Trägst du denn keinen Schlafanzug?“ Doras Finger kreisten um mein Brustbein herum. Ich fühlte ihre Hornhaut wie ein Bimsstein, jedes Härchen, das sie knickte, schrie auf. „Ich finde es ziemlich leichtsinnig von dir, halbnackt herumzuliegen, wenn du Grippe hast. Wenn du dir einen Tee machst in der ungeheizten Küche …“, murmelte sie auf Höhe meines Bauchnabels. Ich wußte, daß ich den Schlüssel zu den Welträtseln nie mehr finden würde; nur noch das letzte Nachglühen dieser Wahrheit konnte ich ahnen. „He, du bist ja nicht nur halbnackt!“, rief Dora, und leiser: „Man verbrennt sich richtig die Hände an dir.“
Ich schielte ein bißchen zu ihr hinüber. Dora hatte sich neben dem schmalen Sofa auf den Boden gekauert. Sie sprach mehr in Richtung ihrer Hände als zu mir. „Als Kinder haben wir auf dem Weihnachtsmarkt immer heiße Maroni gegessen. Der kleine Stand war der einzige warme Ort an diesen eisigen Tagen, und die Maroni sahen aus wie die Kohlen, auf denen sie gebraten worden sind. Ich war immer ganz verrückt danach.“
Auch Doras Lippen waren von der Kälte rissig und noch ziemlich trocken. Allmählich hatte ich den vagen Verdacht, daß etwas Merkwürdiges passieren könnte oder schon passierte. Die Rauheit der Zungenspitze war nicht direkt unangenehm. Ich versuchte, es zu genießen, fühlte ich mich doch im Augenblick so ungeschlechtlich wie seit der Grundschule nicht mehr. Daraus wuchs eine merkwürdige Befriedigung, eine Art von Sicherheit, und fast mitleidig dachte ich an Dora und ihre vergeblichen Bemühungen.
Als ich merkte, daß sich etwas zusammenbraute, war es zu spät. Aus allen Winkeln meines geschwächten Körpers saugte sich mein parasitärer Schwellkörper grippeverseuchtes Blut zusammen. Ungläubig starrte ich auf Dora, die meine zu voller Größe ausgewachsene Erektion liebkoste. „Du Idiot“, dachte ich in Panik, „du blöder Idiot!“ Noch nie hatte ich mich meinem Geschlechtsteil – und ein solches war es jetzt wieder – mehr entfremdet gefühlt. Ich hatte nichts damit zu tun, ich stellte nur den Wirtskörper.
Doras Bewegungen wurden drängender, ihre Fingerkuppen preßten sich in meine weiche Haut. Sie ließ nur einen Moment ab, um sich aus ihrer Hose zu schälen. Ihr massiger, nackter Schenkel preßte sich zwischen meine Hüfte und die Sofalehne und schob auf diese Weise meine Beine halb von der Couch. „Nein!“, sagte ich, als sie sich zärtlich und genießerisch mit meiner Schwanzspitze kitzelte und diese langsam in ihr Inneres bugsierte.
Mit einem Ruck ließ sie sich vornüber fallen und stützte sich grunzend an meiner Brust ab. Ich spürte die Fieberhitze in meinem Glied, die Dünne der Haut. Kräftig, aber ohne Hast kreiste Dora ihr Becken, schob es vor und zurück. Mir wurde schlecht; ich hatte heute erst ein Stück Kuchen und drei Tabletten essen können. Ich spürte an Becken und Beinen, wie Haut auf Haut rieb, dachte an all die Zellen, die dabei aus dem Körper gerissen wurden und tot auf dem Sofa landeten. Die Decke war ans Sofaende gerutscht; ich fror.
Ihre Hände arbeiteten sich wieder hoch bis zu meiner Brust; sie drückte, knetete, preßte, rieb die rote Haut, um sich ihr dann mit Mund und Zähnen zu widmen. Gerüchteweise sollen manche Männer darin ein besonderes Vergnügen finden, aber ich habe das immer gehaßt, es fühlt sich einfach unangenehm an und jetzt noch viel mehr und Dora wußte das auch, also warum tat sie das? Ich überlegte, meine Kräfte zusammenzunehmen und dem Treiben ein Ende zu setzen, schließlich war ich doch der Stärkere. Aber auch nur den Finger oder ein Augenlid zu bewegen, kostete Überwindung. Und wenn es ihr soviel Spaß machte … es würde mich nicht umbringen, und falls doch, mußte sie sehen, wie sie damit klarkam.
Ich öffnete die Augen. Dora hatte den Rhythmus von Schritt auf Trab gewechselt, gelegentlich unterbrochen von genießerisch zelebrierten synkopischen Stößen. Ihr linkes Bein kniete neben mir, mit dem anderen stand sie auf dem Boden; es mußte sehr unbequem für sie sein. Und doch schien sie ganz selbstvergessen in sich zu ruhen mit ihrem leicht zurückgelegten Kopf, den geschlossenen Augen.
Konnte ich die Sache abkürzen? Wenn ich es zu einem natürlichen Ende brachte, mußte sie doch von mir ablassen. Ich konzentrierte mich also auf das Gefühl in meinem Schwanz, versuchte, wenigstens in Gedanken im Rhythmus mitzugehen und mich zu erinnern, warum mir Sex sonst gefiel. Ich spürte, wie Doras pumpende Bewegungen mein Glied zuschliffen, jede Hautunebenheit abrieben, merkte aber zugleich, daß der alte Mechanismus zu greifen begann. Beinahe fühlte ich mich schuldig dabei, als würde ich Dora mißbrauchen statt umgekehrt.
Auch Doras Haut fühlte sich jetzt schweißig an in der für sie vielleicht überheizten Wohnung; aber es war frischer, salziger Schweiß eines gesunden Körpers. Ihre Bewegungen beschleunigten sich unmerklich, und ich hörte sie wohlig tief durchatmen. Schließlich wurde es mir zuviel, und ich kam. Es war, als schoß ich meine Eingeweide in ihre Möse; meine Eichel brannte, und ich hoffte, daß nun alles bald vorüber sein würde.
Dora nahm keine Notiz davon und holte mit ihren Beckenbewegungen nur noch mehr aus. Sie stampfte und ritt wie eine Furie, um noch das letzte aus meiner allmählich in sich zusammensackenden Erektion herauszupressen. Wahllos krallte sie sich mit den Händen an Brust, Bauch oder Hüfte fest, bohrte ihre Nägel in meine Haut, kratzte. Ihr Atem verwandelte sich in ein kehliges Japsen. Mit ihrem breiten, kraftvollen Becken hämmerte sie auf mich ein, als läge ich auf dem Amboß. Ein ungeduldiger Handgriff beförderte meinen Schwanz, der erschlafft herausgerutscht war, wieder in die Möse. Die Hand ließ sie gleich dort. Hektische Vibrationen übertrugen sich von ihrem Körper auf meinen.
Eigentlich spürte ich es gar nicht mehr. Ich war nicht mehr da, und es ging mich auch nichts an. Ich träumte, träumte mit offenen Augen, wie in einem Film. Schön sah sie aus, den Rücken durchgedrückt, die großen, wie angespannt wartenden Brüste, das dunkle Bändchen um ihren Hals. Ihre Beckenbewegungen wurden unregelmäßig, denn sie konzentrierte sich auf ihre Finger, doch jeder Stoß kam aus ihrem ganzen Körper. Einzig den Kopf hielt sie still, wie eine Bauchtänzerin, und weit in den Nacken zurückgelegt. Ob sie lächelte?
Mit ihrem Hecheln, von langen Pausen und kurzen Kieksern unterbrochen, kündigte sie ihren Orgasmus an. Ihr Körper wurde steif, nur noch ihre Finger bewegten sich. Ich hörte sie nicht mehr atmen. Dann warf sie sich stöhnend auf mich, klammerte sich mit Krallen und Zähnen an mir fest. Sie bohrte und drängte ihren Unterleib in mich hinein, und ich spürte ihre Kontraktionen. Auch nachdem mein Glied endgültig aus ihr herausgerutscht war, setzte sie noch mit einzelnen Stößen nach, während sie sich still und zärtlich an mich schmiegte. Für einen Augenblick blieb sie reglos so liegen, dann stand sie mit einem Seufzen auf und deckte mich sorgfältig zu. Ich rollte mich zur Seite und schloß die Augen. Mir war ziemlich schlecht, und ich hoffte, daß ich nicht kotzen mußte.
Dora hörte ich im Bad, dann einige Zeit in der Küche. Ich wollte schlafen, aber es ging nicht. Vielleicht braucht man auch zum Schlafen Kraft. Ich zitterte.
„Hey“, hauchte Dora mir ins Ohr. „Ich hab dir Tee gemacht. Das tut dir gut. Komm.“
Sie hielt mir eine Tasse kräftigen Kräutertee unter die Nase. Wie sie lächelte. Sie war so gut zu mir. Fragend öffnete sie ihre großen Augen.
„Ja“, sagte ich.

 

Theodora präsentiert

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