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Die Keimzelle

Großvater Mörzke kam vorsätzlich zu spät von seinem Spaziergang zurück. Er war auf dem Friedhof gewesen, an Großmutters Grab. Es war sein kleines Geheimnis das er bei jedem Besuch wartete, bis weit und breit niemand zu sehen war, um sodann sein schrumpliges Glied aus dem Hosenlatz zu zerren und auf das Grab seiner verstorbenen Gattin zu urinieren.

Wie gesagt, hatte er absichtsvoll getrödelt. Die übrigen Mitglieder der Familie Mörzke hatten schon gehässig mit dem Mittagessen begonnen. Da waren Vater und Mutter Mörzke und der begriffsstutzige kleine Kevin-Maria.

Seine Eltern hatten dem mittlerweile 5jährigen diesen Namen gegeben, da sie sicher damit rechnen konnten, daß er dadurch jahrewährenden Hänseleien ausgesetzt sein würde. Aus dem selben Grunde mußte er auch eine große Brille tragen, obwohl er keineswegs fehlsichtig war.

Der inneren, der Familie Mörzke eigenen, auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit fußenden, Logik gemäß, diente die Existenz des Jungen, den übrigen Familienmitgliedern als Versuchsfeld für die verschiedensten Schikanen. Er war überhaupt nur auf der Welt, weil seine Mutter ihrem Gatten nie den vollzogenen Geschlechtsakt verzieh, der Kevin-Marias Zeugung beinhaltetet hatte. Vater Mörzke seinerseits hatte diese Schwängerung durchgeführt, un seiner Gattin heimzuzahlen, daß sie Ihren alten, nichtsdestotrotz mit allen Wassern gewaschenen, Vater in der ehelichen Wohnung ein Altersquartier verschafft hatte. Dies war wiederum von noch früheren Taten ihres Mannes provoziert worden, und so weiter.

Der Großvater hatte sich nicht getäuscht, als er keinerlei Hoffnungen in das Essen setzte. Es war hoffnungslos übersalzt. Dieses wiederum war ein berechnender Racheakt von Frau Mörzke gewesen, der ihrem Manne galt. Sie hatte ein wiederholtes mal ein langes Blondhaar am Revers des Jacketts ausgemacht, welches ihr Gatte an seinem Arbeitsplatz zu tragen pflegte. Sie ahnte nicht, das er diese Haare heimlich von der Garderobe des Herrn Gimpel aus der Werbeabteilung, der sein Haar zu einen dünnen Pferdeschwanz gebunden trug, zupfte und auf seiner eigenen Kleidung, wie zufällig, plazierte, damit sie dort von seiner Frau, die ihm jegliches Vergnügen, nicht aus Eifersucht, sondern aus Bosheit, mißgönnte, gefunden werden konnten. Die Freude über die innere Wut, die seine Frau Leiden machte ließ ihn das Opfer versalzter Speisen angemessen erscheinen.

Dem Großvater hingegen erschien es angemessen mit dem wiederholten Erzählen von Weltkriegsschnurren zu reagieren. Die finsteren Jahre in unserer Geschichte waren der gebräuchliche Quell seiner Inspiration, wenn es um neue Geschütze im innerfamiliären Wettrüsten ging. Mehrfach hatte er in der Vergangenheit nicht unberechtigten Zorn gegen die Eltern seines Enkels gelenkt, als dieser öffentlich die vom Opa gelernten SA-Lieder sang.

Kevin-Maria hatte eine unfehlbare Waffe gegen seinen Großvater entwickelt, die er jetzt zum Einsatz brachte: er schloß sich im Badezimmer ein. Der alte Mann der sowohl zur Altersdemenz als auch zur Inkontinenz zu neigen begonnen hatte, bemerkte die verriegelte Türe regelmäßig zu spät, nämlich als seine Blase ihn zu besiegen keine Sekunde mehr zögerte.

Auch Kevin-Maria hatte das Wasserlassen soeben beendet. Er urinierte nach Weiberart im sitzen, denn in den ersten Lebensjahren war ihm von den Eltern erfolgreich eingeredet worden, er sei ein Mädchen. Er war wie eines gekleidet und erzogen worden und erst als man sich sicher war, das die Umgewöhnung wirklich problematisch werden würde, eröffnete man ihm sein tatsächliches Geschlecht. Aus dieser Zeit waren verschiedene Gewohnheiten geblieben.

Ungeachtet des großväterlichen Hämmerns an der Toilettentür saß der Junge auf der Brille, nachdenklich und mit heruntergelassenen Hosen.

Er sann darüber nach, wie er seine Machtposition in der Familie verbessern könne. Unter unglücklichen Umständen lebte der Großvater vielleicht ewig. Auf seine Eltern konnte er infolge ihres Status’ als seine Ernährer nicht verzichten. Der Plan den er schließlich entwarf, war so perfide wie perfekt.

Als er das private Gelaß endlich geräumt hatte, war Herr Mörzke, wegen der Demütigung seines Schwiegervaters, ganz weichherzig geworden. Was er sich denn zu Weihnachten wünsche, fragte er, in Gegenwart des beschämten Großvaters, aber auch seiner Frau, den Sohn ahnungslos. Dieser äußerte, äußerlich ruhig aber voller innerer Siegeserwartung, den Wunsch nach einem Geschwisterkind.

Obwohl zuerst erschrocken, begann der Haushaltsvorstand die sich ergebenden Konsequenzen, sowie die sich eröffnenden Möglichkeiten erst ahnungsvoll, dann mit triumphaler Gewißheit, zu erfassen. Vor niederträchtiger Begeisterung an seiner Vision entflammte in seinen Augen ein Funkeln. Bald darauf funkelte es auch in den Augen seines Ehegespons, dann sogar in denen des Großvaters.

 

Theodora präsentiert

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