Will Paine:

Freunde

… und dann kam der nächste, der für sie eine pikante Qualität hatte, weil sie sich schon in der 9. Klasse gekannt hatten. Sie begegneten sich eines Tages auf der Straße. Er war wegen eines Kostenvoranschlags bei einem Kunden gewesen und hatte Zeit und, ja, sie hatte auch Zeit, also Kaffee? und der Anlaß wurde geschaffen. Aus irgendwelchem Grund hatte sie immer gedacht, er sei die ganze Zeit weit weg in Lübeck gewesen, wo er vielleicht – weiß der Geier – in einer Konservierungsfabrik arbeitete oder gar im Fischfang selbst tätig wäre (und was interessierte sie das?). Es stellte sich aber heraus, daß er Berlin nie verlassen hatte und nach der Lehre als Schlosser jetzt seine eigene Firma hatte. Die Sache mit der Firma, seine Selbständigkeit also, war es, was ihre Drüsen in erster Linie wieder zum Laufen brachte. Ihre Situation als alleinstehende Mutter, die gerade dabei war, ihr viertes Jahrzehnt anzubeißen und vor deren Toren die Auseinandersetzung mit den Ansprüchen eines Kindergartenkindes stand, sorgte dafür, daß sie sich plötzlich über die Interessen eines geeigneten Mannes Gedanken machte, jetzt da ihre eigenen Bedürfnisse – was ihn anging – geklärt waren. Die Tatsache, daß sie beide Berlin gut kannten, trug zur glatten Pflasterung des Weges zum ersten richtigen Kuß bei, und nicht nur, weil beide in der Lage waren, Treffpunkte vorzuschlagen, die für und nicht gegen den Erfolg eines Abends wirkten. Bis die Attribute des Orts bzw des Films unwesentlich geworden wären für den Erfolg eines Rendezvous, gab es nämlich außerdem die gemeinsamen Stadtkenntnisse, die das warme Gefühl einer verdienten und verliehenen Solidarität erzeugten. Sie wußten etwa beide, ob und in welcher Richtung Autos durchs Brandenburger Tor fahren durften, erinnerten sich sogar im gleichen Augenblick an die Hausnummer des Trümmerhaufens in der Lepsiusstraße sowie daran, daß das arme, erwürgte Mädchen in der Wilhelmsaue und nicht im Stadtpark aufgefunden worden war. Dazu kamen die kleinen Einzelheiten in Sachen jeweiliger Überlegenheit: sie wußte den Unterschied zwischen einer Aue und einem Anger, er aber wo und um wieviel Uhr sich der Verkehr gegen Feierabend staute. So würzten sie gegenseitig das Ganze und fühlten sich ineinander und in ihrer Ortsvertrautheit geborgen und wurden ein Paar. Und wo einst den beiden vor einem Date flau im Magen war, verzögerte sich das flaue Gefühl immer mehr, so daß es in kurzer Zeit erst am Ende des Dates entstand und sich nachts die Wohnungstür des einen oder der anderen hinter den beiden schloß. Das erste Mal taten sie minutenlang, als ob der Kaffee-Vorwand für Sex in Wirklichkeit nur ein Grund für die Aufschiebung des Abschieds wäre. Das nächste Mal nippten sie wortlos ein paar Tropfen Wein und taten es ohne weiteres.
Der erste Beischlaf geschah schnell und ungeschmückt. Ein Knopf an ihrer Bluse opferte sich; er entschuldigte sich, während er weiter riß; sie bedauerte mit einem Wort den Knopf und dann schämte sie sich dafür, daß sie den Augenblick solchem Verlust unterordnete. Der Sex glückte also, und – was wichtiger war – würde weitergehen, soviel war klar. Sie machten es meistens bei ihm, wegen der Babysitterin, die er bezahlte. Sie paßten gut zueinander, und nicht nur im Bett. Blumen und sonstiges Grün heiterten ihre Wohnung auf, den Nachschub für ihre Planzenwelt überließ er aber ihr. Das und die dazugehörige Ehrlichkeit schätzte sie. Stattdessen strich er ihr ein Zimmer in der gewünschten Farbe, schien dabei das Ansehen-Moment zu ignorieren und gewann dadurch an demselben. Außerdem vernachlässigte er die Abwechslung in ihrem Sozialleben nicht, und so konnten sie das Schlafzimmer durch eine Palette verschiedenen Türen betreten. Der Sex überzeugte wie vermutlich der Dialog überzeugt zwischen zwei gerundeten Romanfiguren, die auch schweigen können, ohne daß Mängel in ihrer Beziehung aufgedeckt werden. Sie kamen zu Sex nicht wie Obdachlose zum nächtlichen Eingang sondern wie Verbraucher zum Schaufenster der Bäckerei kommen und täglich durch die Tür gehen. Was ihr Treiben anging war er zwar kein Hengst, dafür aber verlangte sie eine gewisse Leidenschaft – ein Maß weniger als sie verkraften konnte – und genau dem war er gewachsen. Manchmal drückte sie ihn gewandt mit ihren Zehen beim Fernsehen, bevor er sie nahm. Ein anderes Mal ließ er sie ihre Tasche im Flur fallenlassen und nahm sie auf dem kalten Boden der Küche; sie protestierte, amüsiert, und sie wechselten zur Kokosmatte, die keinen amüsierte, und weiter zu Dielen und von dort zur bewährten Bettkante, wo er seinen Sack ordentlich befreite und sie ihren Mantel loswurde. Im Schnitt ging es aber ruhiger vonstatten. Wenn ihre Stütze bequem war, gestattete sie es rückwärts lehnend, wie er es bevorzugte. So lagen und hingen ihre Brüste gleichzeitig, zwischen ihren Oberarmen enthalten, und ihre Hände gingen von seinen Schultern zu seinem Haar, während sein erstickendes Gesicht zu ihr neigte und unbefriedbar nuckelte. Öfter entstand Sex aus der Muße. Dann bewunderte sie gelassen seinen ungöttlichen Körper, wie sie vielleicht einen stolzen, abgebrochenen Baumstammrest bewundert hätte, aus dessen muffigen Tiefen eine von jenen prächtigen, roten Blumen ragt, die nach verfaultem Fleisch riecht, Fliegen fängt und frißt. In solchen Fällen fing das Spiel als Suggestion an und seine Intensität steigerte sich ohne Zwang. Ein Schlüssel zum optimalen Ablauf bestand im Timing der Entblößung, das wußte sie, und so hielt sie in falscher Bescheidenheit ihre Stichregionen obligatorisch bekleidet, bis es so weit war. Sie vermutete in ihm ein Gespür für die Ästhetik des Dreiecks, und wenn sie vor oder nach dem Koitus nackt auf dem Rücken lag, mied sie eine symmetrische Präsentation und arrangierte ihre Beine in die verjüngte Pose eines stehenden Laufstegmodells, so daß die wuchernde, untere Front ihres sichtbaren Schamhaars in die hübsch gespitzte Einengung der geschlossenen Schenkel zurückgerollt wurde. Solche Koketterie, solche Vertuschung der Triebe, war keineswegs Betrug, erlag aber immer der Wahrheit: das Becken der Frau sehnte aufwärts nach der Erfüllung, das Dreieck öffnete sich wie die Ufer eines Baches sich den Kaps an der fernen Flußmündung öffnen, und der Mann nahm, tobend, sein Rechteck. Aus intellektueller Sicht war seine Größe für sie unwichtig, doch wenn sie in den Reichen irrte, wohin sein Glied sie gelegentlich verbannen konnte, wollte sie nur bis zum Gehtnichtmehr gestopft werden. Auf Ekstasen wie diese wollte sie in Gesprächen mit Freundinnen anspielen, mußte aber immer überlegen, wem sie was über ihren Liebhaber anvertrauen könnte. Anfangs wußte sie nicht richtig, ob die Information, daß er rechtsradikal war, eine Freundin schockieren würde, oder ob dieses Detail in der Unzahl anderer Details untergehen und ihre Beziehung zu jener Freundin sich eher verfestigen könnte. So entwickelte sie im engen Kreis ein Feingefühl, das sie später, als die neue Allianz sich von der alten Sphäre gelöst hatte, ablegen konnte…

 

Theodora präsentiert

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