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lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik |
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Marcus Roloff |
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lauter niemand 5 |
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Schluß machen |
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Ich habe aufgelegt. Das Gespräch ist zu ende. Der Hörer liegt
in der Gabel. Weil es Abend ist, ist es dunkel. Ich mache das Licht an.
Die Fenster drüben im Hof verschwinden. Irgendwo jaulen Erste-Hilfe-Sirenen.
Ihre Stimme klingt noch. Keine Sätze, nur ihre Stimme. Eine weiche,
schüchterne Stimme, die immer ein bißchen verlegen ist, immer
ein bißchen lächelt. Mein Zimmer ist jetzt jemand, der mich
andauernd auf sie aufmerksam macht. Flüsternd sagt er, wo ist sie,
such sie, gib ihr doch nach, sie verliebt sich in dich, antworte ihrem
Mund, er ist nur für dich offen, sie meint sonst keinen, sie meint
dich, erinnerst du dich an die Märzhälfte, es war Sonne, es
war eine Parkbank, die entenfütternden Passanten, die verkrüppelten
Taubenfüße, ihr weißer Grind, die Taube rollt auf zusammengekniffenen
Fäusten viril über den Rasen, die Taube ist männlich, sie
balzt mit aufgeplustertem Hals und gurrt auf Knien vor der Erwählten,
die zeigt ihr Inter-esse, indem sie weggeht, flügelklappend weghüpft,
der Teich glänzt in der Sonne, sie liegt in deinem Arm, ihr Gesicht
berührt deinen Hals, sie erscheint dir selig, du glaubst, daß
sie glücklich ist, du glaubst, daß du der Grund dafür
bist, du fühlst dich ein in die Männerrolle, der Gebende, der,
der viel zu geben hat, das alte umfangend-umfangen, das Lachen im Sein,
der allegorische Leib, die das Sonstige platzen machende Lustwindung,
die Welt ohne sie löst sich auf, es ist nur sie, die da ist, irgendein
flüssiger Zustand, irgendwie ohne Haltung, die zerrissenen Fäden
an den Puppenrücken, den Puppengliedern, den Puppenköpfen, wie
lang warst du Puppe und riefst ihr nach, hinterher, in diesem Wald, weißt
du noch, schallte nichts, dein Mund war der einzige Raum, den es gab,
ganz matt, erinnerst du dich, ganz trocken klang der aufgestotterte Text,
oh Referenzsemantik, im Park glaubst du dem Licht nur sein Untergehn,
und so ist es immer, daß sie jetzt, das Telefonat ist zu ende, daß
sie jetzt da ist, daß du sie jetzt hörst, wo sie schweigend
unter dem toten Hörer liegt, daß ihre Stimme ein nicht zu verlängernder
Abschied war, dessen Gegenwart mit dem aufgelegten Hörer zu kreisen
beginnt, du hast ja auch gesprochen, deine Stimme sagte und sagte, du
hast das Gespräch verlängert, du hast gehört, was sie sagte
und warst mit den Gedanken woanders, weißt du, ob es so kommen mußte,
kannst du im nachhinein sagen, wovon die Rede war, ihr seid doch, seitdem
ihr euch liebt, das Gegenteil des Puppentheaters, das jeder für sich
und vorher gegen euren Willen aufführen mußte, ihr seid doch
in gewisser Weise ganz frei gewesen, es gab doch nur dich für sie
und nur sie für dich, die Welt hat sich doch andererseits aufgelöst
in ihre sonstigen nichtigen Bestandteile, das Leben, das du verbrachtest,
kam doch zurück mit jener handvoll Sinn, der schon jetzt, drei Minuten
nach dem Ende des Telefonats, so stark nachläßt, daß
du zweifeln mußt an der Sonne im Park, und zu recht, denn sie kann
ja nur untergehn, von uns aus gesehen, ist das die einzige Möglichkeit,
von der Sonne zu wissen, und genauso weißt du jetzt auch von ihr,
daß sie in der Zeit existiert hat, daß sie wie ein Granitblock
dasteht in deiner Erinnerung. |
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Jacke I |
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Davon, daß mein Herz kein härter werdendes Ding ist, muß
die Rede sein. Es steht da wie ein dünnhäutiger lachsfarbener
Mond über der Landschaft. Diese Landschaft wirkt mitten in der Julisonne
wie von Scheißekübeln entstellt. Seelenkehricht. Weil eins
und eins unmöglich zwei ist. Schwerer burlesker Haß. Nervöse
Haut. Zu Unrecht benutzte Bilder. Sicherlich ist alles ganz anders. Das
Liebe-genannte zog mich in sein Loch. Jedenfalls schweifte ich umher wie
ein böser Geist - ich hielt ihn für einen guten - im fremden,
geträumten Element. Ein anderer Mensch. Ein Mädchenmund. Stromlinien-form
dieser Begegnung. Kurz unterhalb des Schicksals. Also vorbei, also eigensinnig.
Nicht geschützt. Ich hielt mich für einen Verführer, also
einen, der Schicksal macht. Irgendwann saß ich eingebrannt, eingesperrt
wie in Bernstein in der fixen Idee, was passiere sei schicksalhaft. Wenn
es das wäre, sage ich mir danach, hätte ich von Anfang an ein
besseres Gefühl gehabt. Das ständige Fließen und Schweifen.
Ich wuchs in den Traum. Ich wuchs in die Zwangsjacke. Dieser Mädchen
genannte Mensch war zur Stelle, aber mehr wie ein Fischiges, tiefseehaft,
lichtlos, das es im flachen strandnahen Wasser zu nichts recht gelüstet.
Im Traum dagegen, in der Jacke, waren wir ein Paar. Alles an seinem Platz.
Alles identisch mit sich. Aber innen. Im Zwang. Im Knoten. Auch draußen:
Kein Theater, keine Pappe. Die sympathetische Echtzeit: Becken, Lende,
Schoßblödsinn. Soll das so? Ein Hoch auf das spasmatische Kauern!
Gesegnet sei das junge beherzte Hingabespielchen! Es ist, was es war.
Aber mein befangener, verurteilter Traumdeuter versteht nur Geträumtes.
Und das zieht ab, der gezogene Pfropf, der das Element zusammenhielt,
macht es zum Abwasser. Abfluß in die lange verstaubten Kanäle,
ins Innerste der wirklichen Erde. Mond ist Blödsinn. Da bin ich,
trockengelegt, jappend nach Luft als ein Fischwesen, unversteift, weichknochig,
der kleinere Teil des größeren Tiers; eine ausgestorbene Art,
dessen Herz weiterpulst. |
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