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Monika Rinck |
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lauter niemand 3 |
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die welt ist ein hotel, aber ein schlechtes |
ein allegorischer fortsetzungsroman ... |
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das schiff fungiert
da erhebt sich vor dunkelndem orange die takelage eines quasivenezianischen
kutters, wie man ihn zu schmuggelzwecken verwendet, wodka beispielsweise.
es sind vielleicht gangster, denke ich, die nonchalance des käptens wird
eine ganz andere nun, die erleichterung über den fund des schiffes, der
stolz auf das eingeschlagen haben der richtigen richtung weicht der sorge,
ob es nicht sogar ungefährlicher gewesen wäre, auf lange sicht, der anderen
richtung den versehentlichen vorzug gegeben zu haben.
es ist ein verschnürtes schiff aus plastikplane, darauf korkapplikationen,
formal: sonne, mond und sterne, manche schiffsteile dem ansehen nach aus
untereinander verschweißten ersatzkanister, in seinem innern ist es ausgekleidet
mit spielautomaten diverser hersteller. das ineinander blinkender signale
könnte rätsel aufgeben, wäre uns seine funktion nicht so offenbar. elektronische
imitationen unterschiedlicher geräusche sind der vorhang durch den wir an
bord gehen. die mannschaft aber liegt nicht anders als herum, blickt kurz
auf und spielt weiter jojo auf eine weise, die uns bislang unbekannt war.
vorerst schenkt uns niemand beachtung, was sowohl beruhigend, wie auch beunruhigend
ist. wir folgen ihrem beispiel und legen uns auch hin und versuchen auch
gefährlich auszusehen, was uns vermutlich nur bedingt gelingt. so warten
wir auf die ausschiffung. schließlich setzt sich einer zu dir und zeigt
dir die klingen an seinem jojo und wie man sie verwendet. es ist nur vermeintlich
ein spielzeug. diese jojos stellen eine furchtbare waffe dar. während ich
in gedanken die gegend nach erfolgversprechenden fluchtmöglichkeiten absuche
setzt sich das schiff in bewegung, ohne dass der käpten oder zumindest der
erste offizier in erscheinung getreten wären. schweben und rasen. alles
ist schweben und rasen. die horizonte geraten in bewegung. die mannschaft
trollt sich. allein auf dem achterdeck gebe ich dir im geheimen zu bedenken,
dass es sich vielleicht um das falsche schiff handeln könnte. wieviele schiffe
finden platz im innern einer mehrfach gekrümmten tropenfrucht. darüber haben
wir nie nachgedacht. es gab keine veranlassung.
die folgenden tage sind gekennzeichnet von unseren versuchen der mimesis,
der angleichung unserer gewohnheiten an die gewohnheiten der mannschaft.
wir schlafen zusammen auf einer pritsche im mannschaftsraum, auf die bislang
noch niemand einen anspruch erhoben hat, womöglich aufgrund ihrer nähe zur
tür, und dem daraus resultierenden ständigen zug. der regelmäßige tagesrhythmus,
einmal notiert, macht es einfach, sich unauffällig zu verhalten. die schiffsleitung,
von deren anwesenheit wir nach wie vor ausgehen, haben wir bislang noch
nicht einmal zu gesicht bekommen. wir legen hand an, wo hand angelegt werden
muss, versuchen dinge aus freien stücken in einer weise zu tun, die niemandem
anlaß gibt, uns zu hassen. manchmal auch werden unverständliche befehle
an uns gerichtet wie: "matratzen achtern seewärts, bombardement sacre coeur.
es säge das humanity." wir antworten mit: "sehr wohl sir", denn wir haben
unsere lektion gelernt und legen nach einem kurzen hermeneutischen disput
die öligen seile ganz anders zusammen und machen nunmehr die betten der
mannschaft mit kleinen überraschungen unter den kopfkissen zurecht.
oder auch: "tempo passati achterdeck, befehl zum socken postfordismus mitschiffs."
das war schwierig und wir geraten beinahe in einen kleinen streit, die metonymische
bewegung der signifikanten betreffend. du bist der ansicht, es handele sich
um einen chiffrierten algorithmus, was ich als deutung ablehne, insbesondere,
da du dann zu dem schluss kommst, der befehl würde bedeuten, dass wir vor
der kapitänskabine ein feuer machen sollen.
manche befehle sind dann wiederum eher eindeutig wie: "planken bohlen aufrichten
zum appell und ab in die büchs brötchen." möglicherweise aber haben wir
dennoch manche befehle falsch ausgeführt, denn die stimmung an bord beginnt
sich erst unmerklich, dann aber manifest gegen uns zu richten. wir lesen
die zeichen von misstrauen. wir werden betrachtet. wir bekommen kleinere
portionen, schlechtere stücke, weniger alkohol.
am morgen des neunten tages wird uns bedeutet, dass wie nunmehr im maschinenraum
zu arbeiten hätten, und diesen nur zu zwecken der nahrungsaufnahme und körperhygiene
verlassen dürften. wir haben schlimmeres befürchtet, doch möglicherweise
war gerade das unser fehler. als wir in den maschinenraum hinabsteigen,
vermeiden wir, uns anzuschauen. denn niemand will das gesicht des anderen
sehen, begriffen im akt der unterwerfung. hätte bereits diese situation
eine möglichkeit der rebellion geboten? wir haben nie darüber gesprochen.
unten angekommen, am ende der stiegen, bietet sich uns eine moosbewachsene
tür. du sagst, unnötigerweise, mit einer stimme, die schon nicht mehr wirklich
funktioniert wie die deine: "das muss sie sein, die tür." wir stemmen uns
dagegen, und mit weniger widerstand als erwartet, schlägt sie auf, so fallen
wir fast in das grüne dunkel des maschinenraums. es gibt da etwas, das phosphoresziert.
wir versuchen uns zu orientieren, tastend und starrend. dann nach einer
kurzen zeit, hört das dunkel auf, gleichförmig zu sein. es scheint aus einem
anderen material jetzt. wir müssen tiefer hinein in diese räumlichkeit ohne
dinge. es ist viel zu leise für motoren. es ist so leise. ganz dicht ist
die luft. mir ist, in meinen gedanken, als befänden wir uns in einem gewächshaus
und ich kann den aufruf dieser erinnerung nicht abwenden. da sagst du: "das
sind pflanzen. die maschinen sind pflanzen, das sind alles pflanzen hier.
sie halten pflanzen als sklaven." natürlich, überwuchert, mit schrecklicher
und blöder fülle, dickblättrig, aus offnen blüten rinnt es, lianen auch,
laubbäume zu niedrig für sich selbst, schlingpflanzen und palmen, kakteen,
zu hoch schon, oben in der höhe, obszön gekrümmt, mechanisch bewegen sehen
wir sie, und schlingernd, als hätten sie zusätzliche gelenke aufgepfropft,
moos überall, die äste arbeiten, die blätter arbeiten, die kakteen arbeiten.
du flüsterst:
"hörst du das husten der sukkulenten?" ich höre das husten der sukkulenten,
und frage mich, was unsere aufgabe sein soll, gießen, beschneiden, aufpfropfen,
düngen, gärtnereiarbeiten aller art? wir wissen nicht, wie diese grüne maschinerie
funktioniert, wie sie das schiff bewegt, rasend und schwebend. wir sinken
auf den bemoosten boden und sehen die pflanzen bei ihrer arbeit. ich denke
an ein universum mit acht horizonten, ausgelegt in den verschiedenen etagen
des himmels. ich denke an unsere krankheit. das husten der sukkulenten ist
ein leiser rhythmus und - lass' es das husten sein, lass' es die von floralen
dünsten gesättigte luft sein - wir schlafen ein, begleitet von einem letzten
gedanken aus dem bewußtsein vor der übergabe des denkens an andere gesetzlichkeiten,
dass wir nicht schlafen dürften. das verbot trägt sich ein in den schlaf,
der sich anfühlt wie ein nutzloser schlaf bei hellichtem tag. erschöpft
und missmutig wachen wir auf. das betasten unserer genitalien bietet nicht
lange kurzweil. wir vermeiden zu sprechen und denken, dass wir vielleicht
bereits verloren haben. wie da die zeit weggeht.
in diesen tagen erscheint uns der käpten noch einmal im traum. ein raunen.
deutsche romantik. den schwarzen wald hat er als sticker dabei. der sold,
die heuer. es ist wie ein dampfiges orange um ihn her, einen hocker trägt
er als wär's eine klippe, er setzt sich an unser lager, fest und unverwandt,
wie ein besorgter freund in der phase der krankheit.
sonst ist alles still. wir dürfen nicht die ersten sein, die sprechen, so
will es die nautische hierarchie, die nach wie vor gültigkeit hat. der käpten
kramt wohl in den taschen unter seinem überwurf. er riecht sehr gut, der
duft mit großer sorgfalt eingelagerter äpfel. dann schlägt er einen kleinen
metallgegenstand gegen das gestänge von ästen und hält ihn an sein ohr.
das wiederholt er einige male. es ist etwas rätselhaftes in dieser bewegung,
deren sinn sich uns erst erschließt, als der käpten beginnt, tiefe töne
anzustimmen: "mmmm....aaa....mmm..aaa." er beugt sich tief zu uns, in seinern
augen steht die aufgeregte ernsthaftigkeit derer, die endlich bereit sind,
ein großes geheimnis preiszugeben, und mit mehrfach befeuchteten lippen
beginnt er:
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wir schippern die straße gibraltas entlang,
am ende des passagiers
die ladung an bord sind nur möbel aus milch
und das ziel heißt havarie - zack-uhura ahoi
die ladung an bord sind nur möbel aus milch
und das ziel heißt havarie - zack-uhura ahoi |
seemannslieder. ist er gekommen um uns das zu sagen? zack-uhura ahoi. es
ist kaum mehr noch als ein raunen. er verliert an seiner silhouette und
nimmt auch seinen hocker mit. hat er den beschwerlichen weg durch nautische
zwischenwelten auf sich genommen, um uns mit fragwürdigen seemannsliedern
zu unterhalten? wohl kaum. jetzt wird uns alles klar. und es gefällt uns
nicht, was jetzt klar wird. wir schauen uns an und denken, dass wir das
schiff verlassen müssen. wir müssen dieses schiff verlassen. denn sein ziel
heißt havarie. der käpten hat uns gewarnt und wir wissen, dass havarie kein
ort auf einer karte ist. havarie bedeutet untergang und nasser tod, und
wenn nicht tod, dann in jedem fall, größte unannehmlichkeiten. wir müssen
hier raus, bevor unser widerstand ganz zu dem von pflanzen wird, indem wir
widerstehen durch welken und sonst nichts mehr. wir öffnen die tür und steigen
nach oben, den finger an den lippen für den jeweils anderen zur ansicht
und warnung. mir ist, als würden die pflanzen uns zu tode winken, mir ist
als senkten sie ihre blätter, wie verzweifelte ihren kopf. du nimmst mich
am arm und führst mich weg, denn ich darf solche dinge nicht denken. du
hast recht. wir steigen dem achterdeck entgegen, und bemerken erleichtert,
doch verwundert auch, das fehlen der posten. hier wird jede erleichterung
zur bedrohung umgekehrt. das ist nicht gut. es ist das verdrehte denken
der unterdrückung. wir müssen das schiff verlassen.
andere geräusche als das echo des stillen, doch beharrlichen werdens von
blättern und blüten kaum mehr gewohnt, fallen wir, nach dem öffnen der letzten
luke nach oben, in eine insektoide starre, die sofort der entsprechenden
hypermotorik weicht.
kämpfe sind kämpfe und kämpfe zwischen seemännern sind laut und anstößig,
versuche ich zu denken, um wenigstens etwas zu denken. ich kann nicht hinschauen
und ich kann nicht wegschauen. ich greife mir deine hand im reflex. das
achterdeck in augenhöhe bietet sich als ein blutballett des entsetzens dar.
jojos kreisen wie sensen, schneller als die wahrnehmung, metallisches sirren
kündigt schlimmstes an. wer da steht im metallischen sirren muss den tod
von einem spielzeug annehmen. nur wenige sind tot bisher, soweit wir es
überblicken können, aber alle verlieren blut, letztlich mehr blut als sie
besitzen, und sind demgemäß bald tot, vermutlich. nicht mehr, denke ich,
ich mag diese reise nicht mehr, einer der seltenen fälle, das ich diese
reise nicht mehr mag. ich kann mich nicht abwenden. ich muss atmen. "du
musst atmen" sagst du. ich atme. ich frage dich: "müssen wir sterben?" und
etwas in deinem blick sagt mir, dass du diese möglichkeit nicht mit sicherheit
ausschließen kannst, dann aber sagst du: "nein, warum auch." und wir müssen
wider erwarten lachen, weil wir beide daran denken müssen, wie ich immer
darauf bestand, dass die einzig mögliche übersetzung von "warum auch" in
das englische "why finally" sei. "why finally" sagst du und küsst meine
schläfe mit kühlen lippen. |
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© Monika Rinck / moorlandtotilas / 2010 |
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