Montag 1
Weil der Priester zweifelte ging er auf die Straße. Es war
nicht üblich in einem solchem Zustand auf die Straße zu gehen.
Aber keines der Orakel taugte etwas. Und die Vipern waren wieder da und
schauten ihm gegen den Kopf. Der Priester ging die Straße auf und
ab und sah Menschen, die sich vornehmlich bewegten, dann ging der Priester
wieder nach Hause und suchte unter allen Ecken seiner Zimmer. Das half nicht.
Das Suchen ging ihm nicht ins Hirn und so sammelte er alle Figuren des Planspieles
der Morgenstunden zusammen und zerrieb die Figuren unter nicht unerheblichen
Schmerzen. Danach allerdings fühlte er sich wesentlich geläutert
und beschloß eine tiefergehende Meditation.
Dienstag 1
Morgens hatte gleich der Weisungsberechtigte nach ihm verlangt und
Weisung gegeben. Eine schwierige Aufgabe, vor allem für den Weisungsberechtigten,
denn er wollte die Haltung bewahren und es auch nicht an Ehrerbietung für
den Priester mangeln lassen. So war das Gespräch ein schwieriges gewesen,
das über mehrere Stunden sich hinzog und die Weisung nur tröpfchenweise
zum Priester gelangte. Der Weisungsberechtigte kroch auf dem Boden und behauptete
er sei nicht mehr als eine Natter, aber die Weisung sei notwendig und zwingend,
an der Weisung führe kein Weg vorbei, es sei eine wichtige Weisung,
die er selbst gewiesen bekommen habe, und der Weisungsberechtigte stand
kurz auf, um seine Schuhe auszuziehen und dann gleich wieder auf den Boden
zu fallen, vor dem Priester, der auf einem Sessel saß, und der Weisungsberechtigte
kroch durch das ganze Zimmer, mit seinen Schuhen in der Hand sich die Stirn
verbergend und so seine Ehrerbietung erweisend. Die Weisung müsse bewiesen
werden, würde sie nicht bewiesen, hätte sie keinen Sinn und alles
würde ganz anders kommen, also solle der Priester bitte die Weisung
beweisen. Bliebe die Weisung unbewiesen, habe das die schrecklichsten Konsequenzen,
nicht nur für die Weisung, nicht nur für das was die Weisung beabsichtigte,
nicht nur für ihn, den Weisungsberechtigten, sondern auch ganz besonders
für den Priester selbst, er würde nämlich im Falle der nicht
Beweisung der Weisung sein ganzes Priestertum aufgeben müssen und in
den Status der Viper eintreten, ganz offiziell, und dann Friedhofspförtner,
Pathologe oder zumindest selbst Orakel werden müssen. Unter solchen
Drohungen begleitete der Weisungsberechtigte den Priester aus dem offiziellen
Gebäude, hin und wieder niederstürzend und die Stirn sich mit
den Schuhen bedeckend. Dienstag 1 war kein guter Tag für den Priester,
er hatte den Eindruck, Dienstag 1 sei der Anfang einer längeren Geschichte.
Mittwoch 1
Die Weisung mußte bewiesen werden, er hatte genug Zeit, aber er hatte
nur mäßig geschlafen, der Priester, und er wollte sich lieber
ans Werk machen. Es mußte was mit den zwei von dreien zu tun haben.
Da war sich der Priester gleich ganz sicher, denn er war ja nun schon länger
Priester und er war ja auch schon durch einige Fachveröffentlichungen
bekannt. Zwei von drei. Ein schwieriges Problem. Also mußte der Priester
gleich raus fahren, weg, sich transportieren lassen, das war immer hilfreich.
Transport gab ihm das Gefühl der Erhabenheit. Der offizielle, ihm zugeteilte
Transportservice kam dann auch prompt und bewegte ihn ganz ungemein. Er
ließ sich zu seinen Mottenfeldern transportieren, die gaben ihm Hoffnung
für die nächsten Orakel. Nach dem Transport war er weg, bei den
Mottenfeldern und ließ den Transport zurück, um ein bißchen
zu laufen und um auf seinen Füßen zu gehen. Schon von weitem
hatte er die Felder zwischen einem Hügel und noch einem Hügel
liegen sehen, die auch noch an den Fluß grenzen mußten. Sonst
wäre der Schimmer nicht der gleiche gewesen. Er schätzte die Spaziergänge
über die Felder, über seine Felder, vorbei durch die Motten, seine
Motten, über denen jetzt schon ein hübscher Mottenschimmer
lag. Aber die waren auch noch nicht ganz reif. So vertiefte er sich in die
Allegorien des Wachsenden und er schmunzelte sich als Sähmann. Das
war dann ziemlich ruhig, so wegtransportiert, bei den Mottenfeldern, die
sich noch gar nicht bewegten. Aber es gab die Mottenfelder, er wußte
es, vielmehr, immer wenn er sie sah. Durch seine Gesänge hatte er sich
den Bauern erzogen, der ihm über die Felder wachte und wenn er den
Bauern weiterhin besingen würde und ihm bei dem Schachspiel helfen
würde, gäbe es bald eine prächtige Ernte. Später war
er nicht mehr da, sondern zu Hause.
Donnerstag 1
Der Priester ging zum Gebäude, und auf dem Weg, kam er beim Bäcker
vorbei. Der Bäcker freute sich sehr als er des Priesters ansichtig
wurde und erzählte alle Neuigkeiten. Der Bäcker wußte immer
alles. Er wußte immer alles, weil er so früh aufstand.
Deshalb war der Bäcker auch unschuldig. Der Bäcker wußte
alles und war unschuldig. Aber der Bäcker konnte sich nicht mitteilen,
er war dazu zu sehr er selbst, um irgend etwas zu teilenund sich selbst
konnte er gar nicht teilen, das lag vor allem an seiner Erziehung. So dauerte
es den Priester sehr, denn er wußte doch , da? der Bäcker alles
wußte, aber sich leider eben nicht mitteilen konnte. Sie zersaßen
schnell einige Brote, krustige Brote, daß es auch Lärm machte
und sie auch etwas davon hatten, einige sinnliche Eindrücke und das
auch was geschah mit Lärm und Krümeln, so, daß die Begrüßung
nicht zum Ritus allein würde. Da waren sie sich mal wieder sympathisch.
Der Priester fragte einiges zu den zwei von dreien, aber der Bäcker
sprach nur wirr und schaute dann traurig, weil er antworten hätte können,
wenn er sich auch mitteilen hätte können, aber er konnte eben
nicht. "Schade" sagte der Priester. "Ich weiß" antwortete der Bäcker.
Der Priester ging dann weiter zum Gebäude, aber als er ankam war es
geschlossen und dann ging der Priester wieder nach Hause.
Freitag 1
Freitag war Tag des Orakels. Seit Montag beschäftigte ihn nur noch
das Tagesgeschäft des Orakels, weder Inspiration noch Muße waren
da, um wieder einmal eine größere Prophezeiung zu wagen. Das
war für seinen Ruf und seinen Status nicht zuträglich. Lustlos
arbeitete er an dem Mäuseszenario, band drei der unterschiedlich ernährten
Tiere an ihren Schwänzen zusammen. Sie scharrten, liefen und pendelten
durch das abgesteckte Areal, allein ihre Geräusche waren heute interessant.
Der Priester machte einige Notizen und schickte sie an den Weisungsberechtigten,
der seinen Stil sehr schätze. Dann machte er sich auf den Weg zum Gebäude.
Er ließ sich nicht transportieren, sondern lief, um flexibel zu bleiben
und vielleicht, um auf ein paar Zeichen zu stoßen. Er traf allerdings
nur auf ein Kind, das ihn anlächelte, schon fast etwas blöde und
ihn dann einige Straßen verfolgte. Angesprochen wollte es vom Priester
Lutscher haben, die er nicht mit sich führte, es wolle Lutscher haben,
weil Kinder immer Lutscher haben wollen müssen, wie das Kind sagte.
Bald war es verschwunden und der Priester fand das Gebäude, das heute
Silos waren. Er betrat die Silos, lief Treppen auf und ab bis er in der
entscheidenden Kammer war, wo alles Zweckdienliche aufbewahrt werden sollte.
Er stöberte durch Schriften und Kataloge, begutachtete einige Erfindungen
und Gerätschaften, die Zivilisationsschritte wesentlich markierten.
Auch Möbel unter Tüchern gab es, so daß der Priester große
Freude hatte, mal hier zu blättern, dort einen Mechanismus in Gang
zu setzen und bald wieder etwas zu lüpfen und freizulegen. Es gab viele
Formen, er sollte den Bäcker einmal herschieben, die Betrachtung dieser
Dinge hätte gewiß dessen Problem mit der Form entscheidend vorangetrieben.
Ganz geschichtlich geworden, wurde dem Priester immer klarer, daß
er die Schale brauchte, um sich seinem Problem der zwei von drei annähern
zu können. Aber die Schale war nicht da. Im Katalog der Dinge erfuhr
der Priester, daß sie von Brednaz ausgeliehen war. Brednaz schon wieder.
Samstag 1
Samstag war am Samstag 1 nicht aufstehen. Der Priester machte sich Brednazgedanken,
dem er scheinbar einfach nicht entkommen konnte, daß er ihn bald wieder
suchen und aufsuchen und mit ihm sprechen müßte, mit dem Brednaz
und das er sich wieder albern fühlen müsse in seinem Priestertum
während der Brednaz gar nichts war, lediglich sein schizophrenes Brednaztum
und Brednaztun verfolgte. Schaurig war dem Priester die Vorstellung, daß
Brednaz vielleicht sogar einer der zwei von dreien sein könnte und
er als Priester dem Brednaztun dann wohl länger ausgesetzt sein könnte.
Bei solchen Vorstellungen wälzte sich der Priester hin und her und
zwischendurch fütterte er das Getier, was zur Ausübung seines
Berufes unabdingbar war, teilweise weil das Getier tatsächlich ganz
passable Deutungen ermöglichte, insbesondere die Fruchtfliege, teilweise
aber auch, weil alle von ihm erwarteten, daß er über entsprechendes
Getier verfügte und Umgang mit ihm pflegte. Das half nichts, er wälzte
sich weiter, auch der Versuch seine Sinne etwas zu stimulieren, mit Gerüchen
scheiterte kläglich. Also hielt er eine längere Rede, die für
potentielle Priester pädagogisch und erbaulich gewesen wäre, bis
ihm der Atem stockte. Seine Ausführungen über die Vipern waren
sehr plastisch gelungen, was er jetzt bereute, denn sonst vermied er es
über die Vipern nachzudenken. Aber er vergaß darüber das
Brednaztum und das Wälzen und dachte an die Vipern und zwängte
sich in eine Ecke seines Bettes.
Sonntag 1
Über Nacht hatte er die falschen Geräusche gehört, das hatte
ihn gleich in die Pflicht genommen. Der Priester entschied sich sie zu speichern,
um später ein längeres Brevier vorzubereiten, das den offiziellen
Stellen einiges erklären würde und sie unweigerlich in Handlungsdruck
bringen müßte. Für den heutigen Tag allerdings stand die
Neuarrangierung seiner Sinnesanreger an, die Riechstäbchen, die Tonmodule
oder die Flächen und Linienansammlung und weiterer Schnick-Schnack,
der ihm teilweise nützlich war, oder ihm einige vergnügliche Momente
bereitete, obwohl er sich manchmal fragte, ob er wirklich das ganze Sortiment
des Priesterbedarfs benötigte. Er sortierte und drapierte zunächst
die Flächensammlung und konnte sich über eine längere Zeit
nicht davon losmachen. Eine große, weiße Ebene mit rauher Oberflächenstruktur
nahm ihn gefangen, er mußte immer wieder mit den Fingern über
sie streichen, dann schloß er die Augen und überlegte, ob eine
andere Farbe nicht dieser Oberflächenstruktur angemessener wäre
und entschied sich für ein Grau mit leichtem Grünstich. Bald beugte
er sich über die Fläche, den Kopf in verschiedenen Winkeln, nah
am Material und ließ die Fläche an seinen Augen vorbei gleiten,
dann ließ er die Fläche über seinen Kopf schweben und überlegte,
ob er so neue Eindrücke gewinnen könnte. Von seinem Tun wurde
er immer gefangener und verglich die rauhe, weiße mit einer glattglänzenden
blauen Fläche. Noch am späten Abend strich er über verschieden
beschaffene Flächen und notierte auf Zetteln mit der Überschrift
,,Grundlagenforschung: Sinneseindrücke der Fläche" wesentliches
in gezierter Handschrift. Er nahm sich vor, das Problem der Kanten der Fläche
an einem anderen Sonntag zu reflektieren und legte sich mit einem unangenehm
zweidimensionalen Gefühl schlafen. |