Unsere Sprache ist vage, machen wir uns nichts vor, entlocken wir dem Weltgeplärre ein paar schrille Töne, feine Dissonanzen, einige Schweinereime1, zerrupfte Melodien. Machen wir also etwas Musik auf der Klaviatur der Ambiguitäten. Verstehen und Störung als schlichte Grundbedingungen von Sprache. Drei Wörter rattern im Takt, auf dem Bildschirm, dreifach tellurisch, der Blick in den Kopf. Für einen Moment ist alles ganz einfach: Kind, Schraube, Mutter. Das war`s. Dann die bunten Farbnuancen auf dem Schirmbild, muntere Leuchtspur.
Aber: ich versteh den Ansatz nicht – wieso leuchtet hier das Tiefenhirn und der Kortex schweigt? So durchleuchtet, bleib ich stumm. Mal ganz freudianisch2, da ist doch was faul, mal den Wernicke aufs Altengleis verbannen, mal ganz aphasiologisch betrachtet: da rauscht es von unten heran, wird es Bennblau, subkortikal.3
Denn: schreib das mal nieder, schreib das mal auf was man sonst so von sich gibt, es bleibt nicht viel, am Ende nur asymptotische Sinnerzeugung, Blätterfall, Herbst aus Wörtern, immer wieder neu gemischt vom Wind, der um die Ecken fegt. Was zu zeigen ist, sind die feinen Risse im Kontext, die Bedeutungsinflation, andauerndes Popup: Mutter, Butter, Futter, Kutter, Nutte, Kutte. Nicht einzufangen, nicht einzugrenzen, subkortikal reguliert ist das alles und immer wieder überraschend – Präzision, zufällig, chaotisch, größtmöglich, Gedicht. Gegenüberstellung von Disparatem, Sammelsurium. Kommunikation: Infusion orangener Wortuniversen, langsam hineinträufelnd in ein Gegenüber. Kontext, bis die Venen platzen. Verstehen also nur durch Störung. Erst in fremden Hirnen sich zusammenfügend, entropisch, sich weiter vorankoppelnd, iterierend, ankoppelnd an das Gesamtnetzwerk.4
Rezepte für ein Gedicht?
Nein. Aber bitte Schnaps und Likör, Oktoberfeststimmung, reichlich, volkstümlich, Volkslied. Schalk im Nacken. Das Alltägliche, Pathos zeigen, dann wieder die Nacktheit, den kompletten Irrsinn in ein schallendes Gelächter auflösen. Nicht das Schöne schaffen, es herausschälen aus dem Schmutz wie ein müdes Lächeln hinter abgeschlafften Wangen, wie ein wirrer Blick, der durch das Gitter des Isolationszimmers einen Zigarettenstummel pflückt. Oder die Stimmung als feinen Hagel gegen die doppelt verglaste Fensterscheibe prasseln lassen. Dann, je nach Lage wieder großflockiger Schnee, weiße Haube, blinder Fleck, dünne Spritze, Wattebausch. Pflaster. Draußen ist es bitterkalt, drinnen wie im Tropenhaus. An den engen Schädelwänden perlt der Schweiß einer zuvorderst surrenden Aggression. Pflegekräfte wischen sich ab an den Ausdünstungen. Da ist wieder jemand auf dem Kopf gegangen, die Wände hochgestiegen, die Tür ist aus den Angeln. Mania. Masuala Regenhaus.
Vergeblicher Blick in den Kopf, was bleibt sind: Verschwörungstheorien, Vers-schwörungstheorien, Tesla. Gedichte als kleine Miniaturen, Appetitanreger vor der eigenen Erfahrung, Flashbacks. Die Luft einmal komplett einatmen, gegen den Totraum anhecheln. Vergebens. Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.5 Nur der Vers ist stärker. Hyperventilation, die Extremitäten zum Kribbeln bringen, für einige Millimeter neben dem eigenen Körper schwingen. Die Sprachreflexion im Alltäglichen auf die Probe stellen? Warum linguistische Restbestände recyclen? Warum nicht einfach mal ein gutes Tourette?
Das Hohe und das Niedere, die Vielschichtigkeiten, Panoramen, Fußnoten, einfache Formeln, triviale Floskeln, Provokation. So könnte es sein. Durch die Naturwissenschaften (was ist das?) gehen oder vielmehr durch sie hindurch oder besser: nebenher, es darf auch stumpf und maulig, maulheldig sein, erdig, es sollte mit Vorliebe auf dem Toilettensims konsumiert werden, Odor frischer Ausscheidungen, Humus, Humanismus. Sich über den eigenen Quatsch wegwerfen vor Lachen, dem Ernst sein Bierchen lassen. Das Gedicht als Synapsenanreger, Sinnesreizer, Synapsenkleber, ungeahnte Spitzfindigkeiten versammelnd, Schmelztiegel der Vokabeln, Bakterienrasen am Schlundausgang. Rachitis. Mangel an Vitamin C, D, E, A und K.
EDEKA.
Den Leseatem für einen Moment zum Stocken bringen, Asthma, munteres Stop and Go, die Elektrophysiologie zum Schwingen bringen, oder eine besondere neuronale Amplitude, so ein schönes P400 evozieren.6 Soll sie doch aus dem Tiefenhirn heraufrauschen, die freie Assoziation, da liegt sie dann auf dem Blatt, Stück Rotz. Dann mit dem Finger feine Linien hereinzeichnen, das Blatt zersägen, ein Relief hereinnagen in den Schmutz, hier, bitte: Gedicht. Stuhlschau. So lange am Rotz feilen bis es irgendwie stimmt, bis es gut einfährt wie eine glitschige Pille. Pharmakon, Gift und Heilmittel zugleich, Nebenwirkung ohne Arzt fragen, Sedativum mit paradoxer Wirkung, dann wieder eine unstillbare Zerstörungswut, begrenzte Entgrenzung, Speichelfluss bei der Lektüre, kurzum: eine Hirnwalküre, eine Haarkur die sich glättend über gespannte Nervenstränge legt, an ihnen zupft wie eine Zither, wie eine leise Barockmelodie und dann der Paukenschlag, dicker Anton, fetter Wanzt, gelber, zirrhotischer Teint, wer bläst hier ins Horn, eine Brachialmelodie, würdiger Abgang, was ich mir wünsche, ist ein Konzert, eine Kakophonie, ein elektrisches Knistern, eine Analogie in Vinyl gepresst oder wenigstens: ein Knacken in der Rille.
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