fragen zur poetik
 
Clemens Kuhnert
fragen zur lesung mit diskussion "pure poetik"
 
„Was meinst Du eigentlich genau mit Poetik?“ – Auch heute, wo manche Dampfwolke lyrikinterner Debatten um Poetik in den Feuilletons ihren Niederschlag fand und wieder verschwand und sich Ermüdung bei den dazu vielbefragten Dichtern breit machte, wird mir diese Frage von jungen Dichtern und Dichterinnen nach wie vor gestellt: Wer beginnt auch zu schreiben um Beispiele für philosophische Thesen zum Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit im Allgemeinen und für die Bedingungen des eigenen literarischen Schaffens im Besonderen zu geben? Und wer endet damit? - Die Antwort auf letztere Frage wäre schon mehr als nur rhetorisch. Ähnlich stellte ich mir diese Frage vor der Lesung „pure poetik“ im Jahr 2003 im Mudd-Club, welche ich mit Ernesto Castillo zusammen organisierte. Was würde ich von Dichtern gerne wissen wollen, was mir die Rahmenbedingungen zur Entstehung oder des Charakters ihrer Gedichte erläutert, die darin nicht ihren expliziten Niederschlag gefunden haben oder ich nicht zu erlesen verstehe. Unser Ziel war etwas von den Diskussionen nach den offenen Abenden mit Text und Kritik im lauter niemand literaturlabor, welche als poetologische jedoch nur selten benannt wurden, auf die Bühne und auf den Punkt zu bringen. Die Fragen, so einfach sie auch gestellt sein sollten, hätten allerdings fast jede für sich Thema oder zumindest Anlass einer eigenen Podiumsdiskussion sein können: So half es auch nicht, sie den eingeladenen Lyrikern vorher verschickt zu haben, denn das Gespräch verselbstständigte sich zu seinem Vorteil ziemlich schnell. Aus dem Publikum wurde dann auch bald die damals noch mehrheitsfähige Meinung geäußert, dass jemand, der über eine Poetik seine Texte erklären müsse, wohl seine Aufgabe als Autor verfehlt habe: Vergesst Poetik. Da bin ich nun weiterhin anderer Meinung: Die Wirkung eines Gedichts kann und sollte auch dann über das darüber Gesagte hinausgehen, wenn ich keinen seiner Aspekte unbeleuchtet gelassen und auch alles, was dem Dichter Anlass und Grund schien es so und nicht anders zu schreiben, glaube verstanden zu haben. Ein gutes Gedicht sollte sich damit nicht erledigen, sondern eher noch interessanter werden. Und umgekehrt: Natürlich klingt die Poetik des Autoren immer im Gedicht an, denn sie zeigt sich einfach darin, dass es so und nicht anders geschrieben wurde. Doch fragt man sich manchmal, warum man ein Gedicht als Rätsel zu aktuellen sprachtheoretischen Debatten auf Grundlage eines vorausgesetzten Einvernehmens lösen muss, welches es ermöglicht die barocktypisch ins Dingliche verschlüsselte Theorie wieder zu entdecken, vor allem, wenn diese sich dann selbst genügt. Und welche Lust ist es, bei Anrufung der Begriffsfetische solcher Theorien in Ergriffenheitsstarre fallen zu dürfen, wenn mir als sein Leser dafür das richtige Buch oder Internetforum fehlt um sie einzuordnen und das Gedicht dazu nur die Stimmung verbreitet? Hier tauscht sich dann schnell die mögliche Komplexität einer lyrischen Aussage mit der Kompliziertheit aus, mit welcher oft halb Verdautes in lyrische Sprache gekleidet wird, ohne aus anderen Gründen die Relevanz und Konsistenz zu besitzen, die es behauptet. So können Diskussion zu Poetik jenseits und innerhalb der Gedichte helfen manche Begriffsnebel zu lichten: Ein Prozess, bei dem Autoren in der wechselseitigen Spiegelung ihrer Lyrik und den Gedanken dazu eine immer klarere eigene Stimme entwickeln können: Und findet diese sich nicht in der Klarheit der Absichten, so denn vielleicht darin, was ganz klar nicht beabsichtigt wird. So schadete auch damals die bis zum Ende spannende bis chaotische Diskussion zur Poetik sicher weder den Autoren, noch machte sie ihren Texten Abbruch. Können wir uns auch selbst die damals gestellten Fragen besser beantworten und würde ich sie daher zum Teil auch anders und weniger redundant stellen wollen: Noch kann dieses Konzept einer Lesung allen, die wir in einer fernen Zukunft zu so einer Diskussion auf die Bühne laden sollten, als Warnung dafür dienen, was sie bei uns erwarten könnte.
 
teilnehmende
 
Daniela Seel / Bert Papenfuß / Boris Preckwitz / Einat Davidi / Hendrik Jackson
 
moderation
 
Clemens Kuhnert / Ernesto Castillo
 
teil I: fragen zum persönlichen schreibprozess
 
> Wie sieht Dein Schreibprozess aus, wie beeinflusst er das Gedicht im Ergebnis?
> Hast Du typische Anlässe und Beweggründe die Dich veranlassen ein Gedicht zu schreiben? (z.B. Politische oder gesellschaftliche Fragen, Philosophische Grundfragen, Empfindung eines Schmerzes oder Verlustes, eine gute Gedichtzeile, das Thema der Ausschreibung eines neuen Lyrikpreises)
> Weißt Du bevor Du anfängst wo Du hinwillst?
> Schreibst Du „aus dem Bauch“ oder konstruierst Du Deine Gedichte nach bestimmten formalen Kriterien?
> Beeinflusst Dich, wie andere Dichter an Dein Thema herangehen oder was als zeitgemäß gilt?
> Beeinflussen Deine gewählten Mittel Deinen sprachlichen Ausdruck: Handschrift/ Computer, Aufnahmegerät…?
> Ist Dir die Botschaft oder die sprachliche Form wichtiger, wie beeinflussen sich beide während Deines Schreibprozesses?
> Wann ist für Dich ein Gedicht abgeschlossen?
 
teil II: fragen zum theoretischen überbau
 
> Gibt einen gemeinsamen Sprachraum, vor dessen Hintergrund Du Deine Gedichte für allgemein verständlich hältst, bzw. wie siehst Du das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit und welche Konsequenz ziehst Du daraus beim Verfassen von Gedichten?
> Kann man Gedichtschreiben lernen und/oder gibt es einen Kriterienkanon, nach dem sich Gedichte allgemein gültig kritisieren lassen?
> Warum glaubst Du, dass jemand Deine Gedichte so versteht, wie Du sie meinst? (Interessiert Dich das überhaupt, hast Du einen idealen Leser oder willst Du allen Lesern verständlich sein?)
> Lassen sich Deine Gedichte ganz unabhängig von Deiner Biographie begreifen? Ist ein Verständnis Deiner Gedichte ohne geschichtlichen Kontext von Sprache und Gesellschaft denkbar?
> Lieferst Du in Deinen Gedichten den Kontext der Ihnen zugrunde liegende Sprachhaltung mit bzw. wird diese in Deinen Gedichten reflektiert? Welche grundsätzlichen Ziele verfolgst Du mit Deinen Gedichten auf der sprachlich/ formalen Ebene? (Verzauberung durch formale Schönheit, das Gefühl von Erhabenheit, Verrückung der Dingwelt aus Ihrem vertrauten Zusammenhang, Aufbrechen von Sprachklischees, Aufzeigen der Struktur und des Funktionierens von Sprache, Schaffung neuer Realität durch Kollision des Unvereinbaren, Erneuerung von Sprache, Sprachmusik zur Erbauung und besseren Begreifbarkeit von Inhalten, Verdichtung von Gedanken...,
> Glaubst Du mit Deinen Gedichte auf ein außerhalb der Sprache zu verweisen, auf das, „worüber man nicht sprechen kann“. Welche sprachlichen Mittel hältst Du dafür gegebenenfalls geeignet? (Oder: Warum glaubst Du im umgekehrten Fall ist es mit sprachlichen Mitteln nicht möglich, transzendente Inhalt zu transportieren?)
> Gibt es nach Deiner Meinung eine Notwendigkeit, aus der heraus das Verfassen von Gedichten in unserer heutigen Zeit überhaupt einen Sinn macht?