Schmähung

von Herbert Braun

Gut siehst du aus. Deine Augen bewegen sich lustig, als du in die Chips beißt, an denen die rote, dickflüssige Soße klebt. Jemand sagt etwas zu dir, und du lachst, die zermahlenen Chips in den Mulden und Kerben deiner weißen Backenzähne. Nicht, daß noch die rote Soße in deinen Mundwinkeln hinge, nein: Wenig, nur ganz wenig vom Bratfett hat deine saftigen Lippen benetzt, gerötet.

Du fühlst dich wohl in deinen Bewegungen, du magst dich. Deine Fröhlichkeit macht dich so sympathisch. Wo du bist, sind die anderen Kulisse. Wieder tunken deine langen Finger, die du so selbstverständlich zu tragen verstehst, Chips in das Schälchen mit der roten Soße, ein Dip, ja, ein Dip ist das, in das du die Chips hineintunkst, nur mit der Ecke, umsichtig, nicht zuviel, um deine langen Finger mit den schönen Nägeln nicht mit der klebrig roten Soße zu verunreinigen, und schiebst sie über deine glänzenden, wie zum Kusse geöffneten Lippen. Deine geschwinde Zunge leckt ein Salzkörnchen hinweg, leckt kitzelnd hinweg über deine Fingerspitzen, die sich nicht eilig genug aus deiner Mündung zurückzogen. Wenig erst nagen Zahnfäule und Karies an deinem Gebiß, als es die gebackene Kartoffel-, nein, Maismehlmasse zertrümmert, zermalmt.

Gut siehst du aus. Du wackelst, wenn du gehst – du gehst jetzt nicht, du sitzt auf deinem fruchtbaren Hintern, der aus dem Becken quillt, aber ich weiß es, ich habe dich beobachtet: Die Fröhlichkeit wackelt aus dir heraus, du weißt nicht, wo du dich zuerst bewegen sollst, alles bewegst du gleichzeitig, den geschmeidigen Bauch, alle Beine, deine federnden Brustspitzen; du nimmst die Mitte aus dem Raum, verläßt du ihn.

Weiß ist deine Haut, glatt und weiß. Kaum noch keimen die Pickel an deinen Armen, ballen sich die Arterien zu blauen Geschwulsten. Die Säfte in deinem Magen branden hoch, stürzen zusammen über dem salzigen, soßigen Brei, die Maischips, mm, das leckere Dip, ätzen ihn zu einer zähen Pürree. Freudig preßt dein junger Darm all das Fett und die Kohlenhydrate aus dem gelbroten Phlegma. Noch während du kaust, in deiner Haut, regenerierst du dich aus Nachomasse, verwandelst dich. Weiß ist deine Haut, glänzend und weiß.

Ja, du glänzt in deiner öligen Haut, geschmeidig gleitest du durch den Raum, so mühelos deine Bewegung. Siehe, auch das Krümel, das kleine Krümel, das dein Mundwinkel verschmähte, es perlt ab von dir wie der Tropfen Teichwasser vom Gefieder der Ente. Gleitet es nicht dorthin, jetzt, wo die Kleidung mir den Blick verstellt? Fühlst du, wie dich das kantig gebratene, in Friteusenöl gewendete Maismehlchip kitzelt, hindurchschlitternd durch das lichte Schilf deiner blassen Haut, von Rippe zu Rippe springend, das Fragment eines Kataraktes?

Nicht der Paprika deiner Chips, nicht das zähflüssig rote Chilidip ist es, was meine Gedanken so schärft, starre ich auf das schattige Tal zwischen deinen Brüsten. Und tiefer glitsche ich hinab an der gespannten, konvexen Wölbung deines Bauchfells, stolpere über ein unsichtbares Mal, taumle am Krater des Nabels vorbei: Bis ich mich hinwegducke unter den strafferen Gummizug deiner Wäsche, in dein kleines Tropenhaus, in deinen Äquator. So wühle ich mich durch die verborgenen, krausen Stauden deines Pelzes, nicht mich einfangen lassend von den engen Maschen der Locken, herabgedrückt unter dem niedrigen Zelt eines geblümten Himmels; erklimme ihn, den südlichen Hügel, vor dem deine Vegetation ehrfürchtig zurückweicht: und stürze mich hinein, ein kitzelnder kleiner Krümel in der Bügelfalte deines Schamgebirges. Und sehe ich jetzt nicht einen leisen Schauder in deinen Augen, ein Vibrieren im Unterleib, ein nervöses, verirrtes Zucken der Finger? Oder streifst du nur die Fettreste ab, bevor du aufs neue zugreifst?

Gut siehst du aus, wie du dasitzt, schön und glänzend mit deinen weißen Zähnen. Ich weiß, du verstündest nicht, nennte ich dich Aas. Du weißt nicht, was du bist für mich, weißt du es, du bist, wenn du mich fragst … aber du fragst mich nicht.


© Herbert Braun 2001 • Kommentare? ->Wortwart@Woerter.de