Publikumsbeschimpfung

von Herbert Braun

Ich glaube, heute hats euch noch keiner gesagt, also muß ich es tun: Ihr seid ein Scheißpublikum. Ich glaube, damit sage ich keinem von euch etwas Neues, also habt euch nicht so. Oder denkt ihr, es ist einfach hier zu stehen und euch anzuschauen? Ihr schaut alle nach vorn, da ist nicht viel, das ist nicht schwer. Aber von hier oben sieht man euch alle, und wenn man es überhaupt ertragen kann, hier zu stehen, dann nur, weil einen die Scheinwerfer so blenden, daß man nicht alles von euch erkennt. Was wollt ihr eigentlich hier? Ihr habt extra Eintritt bezahlt, danke. Aber glaubt ihr, daß ihr etwas davon habt? Ach, ihr seid zu eurem Vergnügen da? Wollt wohl unterhalten werden? Soll ich ein paar Witze machen? Wie ekelhaft. Soll sich jemand ausziehen? Keine Panik, das war noch kein Angebot. Ihr wollt doch bloß eure Langeweile kurz unterbrechen. Lügt euch nur an. Ihr habt einfach keinen Grund, hier zu sein, und mit «hier» meine ich nicht nur diesen Saal. Man könnte alles mit euch machen. Ihr lauft jedem nach, der euch lange genug schön zuredet. Ihr denkt, ihr seid einzigartig, Individuen. Vielleicht versteckt sich auch der ein oder andere Künstler hier. Haben wir hier einen Künstler? Einen Literaten, einen Musiker, einen Selbstdarsteller? Glaubt mir: Es gibt niemanden, der nicht auf euch verzichten könnte. Ihr seid alle gleich. Geht doch einfach heim. Ihr seid eine Zumutung. Ihr solltet alle nach vorne kommen und euch ein paar Minuten anschauen, wie ihr da steht und Löcher in die Luft guckt. Aber das traut ihr euch nicht mal. Noch ein freundschaftlicher Rat: Wenn ihr aufs Klo geht, schaut nicht in den Spiegel. Der Spiegel wird's euch danken. Tschüß, ihr Pfeifen.


© Herbert Braun 2001 • Kommentare? ->Wortwart@Woerter.de