Einen Hund beim Kotzen beobachtet zu haben

von Herbert Braun

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Früher hatte ich Eisenpedale mit Griffeln. Was sehr praktisch war bei Regen, oder wenn man aus anderen Gründen daran scheiterte, seine Füße so auf die Pedale zu setzen, daß die verlängerte Längsachse des Wadenmuskels die hintere Kante des Pedals schnitt. Ich spreche von meinem Fahrrad. Heute habe ich Plastikpedale, aber dafür Hohlkammerfelgen und einen gemufften Rahmen. Nicht geschweißt, sondern gemufft. Ungleich stabiler.

Auf die ölgedämpfte «Sitting-Bull»-Federung habe ich verzichtet. Schließlich gibt es nicht allzu viele Schotterpisten und unbefestigte Hügel in Berlin, wo man es eher mit Baustellen und Hundescheiße zu tun hat. Aber man muß sich fit halten. Gerade in meinem Beruf. Jeden Tag, jeden Morgen fahre ich von mir bis zum S-Bahnhof. Eintausendvierhundertachtzig Meter. Mein Rekord liegt bei 2:35 min. Und nochmal 300 Meter von der S-Bahn bis ins Büro. Und wieder zurück. Täglich.

«Entschuldigung!», rief ich zu der Frau, die mit dem Knöchel mein Pedal gerammt hatte. Überlegt sich's in letzter Sekunde doch noch auszusteigen und hält die Leute auf, die blöde Kuh. An den Eisenpedalen mit Griffeln hatte mich eigentlich nur gestört, daß Barfußfahren unerträglich war. Aber die blauen Flecken, die man mit den Dingern austeilen konnte, hatten keine Konkurrenz. Da war auch locker mal ne Hautabschürfung drin.

Klar, daß die Klappsitze am Wagenende besetzt sind – der einzige Platz in der verdammten S-Bahn, wo nicht ständig jemand um das Rad herumschleicht und dagegenrempelt. Hat schließlich einen Zeitwert von, naja, ist gut gepflegt, sagen wir dreizehnhundert. Und das in Berlin. Mit gemufftem Rahmen. Ja, jedenfalls sitzt da schon ein molliges Mädel auf dem Klappsitz und schaut dösig aus dem Fenster, wo Platz für Radfahrer freizuhalten ist. Aber ich wollte mal nicht so sein und setzte mich daneben ins Abteil zu einem zwielichtigen Türken mit glänzenden Haaren und glänzenden Schuhen.

Schon beim Einsteigen war mir der große gelbe Hund des Mädchens aufgefallen, der in der Ecke des Waggons hockte und dreinschaute, als hätte man ihm seinen Spielzeugknochen gestohlen. Das weckte meine Sympathie, Sie wissen, was ich meine: Knuddelteddys und Bücher von Enid Blyton. Im Grunde sind wir alle gute Menschen, meine ich. Und so'n Hund ist ja nicht irgendein Vieh wie ein Schwein oder eine Kakerlake, sondern was Menschliches. Und da hockt der so da, zusammengerollt, sabbert irgendwas am Boden rum und schaut zum Steinerweichen. Daß das Tier gut erzogen war, hatte ich schon gemerkt, als es ohne Murren einen Schritt zur Seite gegangen ist, bevor ich mit dem Rad seinen Schwanz überfahren konnte. So ein Hund weiß besser, was sich gehört, als die meisten Menschen.

Trotzdem hätte ich mich nicht soweit herabgelassen, einen fremden Hund zu berühren oder gar mit ihm zu reden. Wer wußte denn schon, was so ein Köter für Krankheiten mit sich herumschleppte. Diese lebenden Seuchenherde, mochten Sie noch so glänzendes Chappi-Fell haben, faßte ich nur mit Handschuhen an, wenn es schon sein mußte.

Der Türke gegenüber besaß nicht so viel Zurückhaltung. «Na, Hundi, was ist denn, Hundi», und auf diese Weise ging das über acht Stationen, es war kaum zum Aushalten. Eine ziemlich billige Masche: Hundchens Fell kraulen und dabei an ein ganz anderes denken. Und ich sitze da und muß mir das debile Gequatsche anhören von diesem Typen, der für seine Haare und seine Schuhe die gleiche Schmiere benutzt, und nicht zu knapp. Meine Aktentasche konnte ich jedenfalls gleich zulassen.

Ich schaute mir also das Mädel gründlich an, schließlich hat man ja viel Zeit in so einer S-Bahn. Es mochte Zufall sein oder Assimilation, aber sie hatte die gleiche Haarfarbe wie ihr Hund, so ein unindentifizierbares Nullblond, das auf dem Köter irgendwie besser zur Geltung kam. Unter dem Tanktop konnte Papas Liebling ohne weiteres als Wohlstandssymbol durchgehen; die Brüste hingen ihr träge auf den Bauch, jede mit ihren großen, flachen Höfen verschlafen in eine andere Richtung schielend. In der sandfarbenen Hose spannte sich der Stoff über ihre Schenkel wie die Segel einer Yacht, die nur so über die Wellen gleitet. Auch im Schritt wurde es ihr ein bißchen eng, und ich dachte, daß sie sicher gut warm hält im Winter. Ich meine, das Radio hatte achtundzwanzig Grad gemeldet, aber ich frier eben nicht gerne.

Irgendwo dann zwischen Friedrichstraße und Potziplatz gurgelt's aus dem Hund so komisch raus. Ich hab sowas noch nie gehört, aber ich kenn mich ja in den Tieren nicht aus. So eine Mischung aus Röcheln und Rülpsen, oder Magenknurren. Kann man schlecht beschreiben. Natürlich fängt jetzt das Mädel auch noch an: «Na, Hundi, was ist denn, Hundi», und streichelt dem Vieh den Pelz, und der Türke setzt auch eine besorgte Miene auf.

Einen Hund beim Kotzen beobachtet zu haben, ist kein reines Vergnügen. Es gibt schönere Anblicke als so eine gelbe Suppe, die plötzlich aus dem Tier quillt. Mein Magen ist sensibel, und ich hatte noch nicht gefrühstückt. Der fassungslose Blick meines Gegenübers auf seine plötzlich dottergelben Schuhe entschädigte aber sogar für den zugleich essigsauren und süßlichen Geruch, der sich schnell im hinteren Wagenende verbreitete, fast wie Schokolade oder Eierlikör. Was die dem armen Tier zum Fressen gegeben haben müssen, schrecklich.

Frauchen reagierte schnell, muß man ihr lassen. Sie griff in den Rucksack, schüttete den Inhalt ihres Frühstücksbeutels hinein und hielt dem Hund die Tüte über die Schnauze. Gehorsam beugte sich Hundi vor und kotzte den Plastikbeutel voll. Fast menschlich, so ein Tier. Bis auf dieses rülpsende Magenknurren ging das recht geräuschlos vonstatten.

Hundi war jetzt fertig. Brav legte er sich wieder an seine alte Stelle zurück und schaute traurig. Der Türke schaute auch traurig auf seine gelben Schuhe, und das Mädel zog schnell einen Packen Taschentücher heraus. Man stand zusammen, man half sich gegenseitig. «Da hinten ist auch noch eine Pfütze», sagte der Typ. Sie kniete auf dem Boden und schrubbte unter dem verständnislos blickenden Hund, der sich in die größte Pfütze gelegt hatte. Die Brüste nickten dazu.

Tutend sprangen die Türen auf. Das Mädel murmelte etwas, knüllte die Taschentücher in den Frühstücksbeutel und sprang mit Hundi am Halsband rasch hinaus. Sicher saß sie auch auf den unbequemen Reservebänken noch weich, dachte ich bei mir, als die beiden Sanddünen am Fenster vorbeiwogten.

Der Türke starrte ihr noch immer nach mit seinem vollgesogenen Taschentuch in der Hand. Es gab hier keine Aschenbecher oder Mülleimer. Ich lehnte mich zurück. Ein großer feuchter Fleck erinnerte noch an Hundi und Frauchen.

«Komisch, daß Hundekotze gelb ist», eröffnete ich das Gespräch. Mein Gegenüber lächelte schief und wandte sich dem Fenster zu. «Du hast übrigens noch was am Hosenbein», erklärte ich freundlich, «Sieht komisch aus auf dem schwarzen Stoff.» Unwillig wischte er die paar Brocken Hundeinnereien weg, dann richtete er sich eilig auf, um auszusteigen. Zum Glück kriegte ich mein Fahrrad noch zu fassen, sonst hätt's dieser Dussel noch umgeschmissen, als er beim Vorbeischlüpfen am Kettenwerfer hängenblieb. «Entschuldigung», nuschelte er. «Das macht doch nichts», lächelte ich zurück. Alles eine Frage der Selbstbeherrschung. Zärtlich hielt ich mein Rad an dem kühlen, harten Ledersattel, der sich der Form des Hinterns anpaßte, hatte der Verkäufer behauptet. Nach 2.000 Kilometern kriegte ich aber immer noch Schwielen am Arsch davon. An der Tür wartete der Typ ungeduldig, daß endlich die S-Bahn einfuhr. Ich beschloß, mir wieder Eisenpedale zuzulegen.


© Herbert Braun 2001 • Kommentare? -> Wortwart@Woerter.de