Das Elend der Poesie

von Herbert Braun

Sehr geehrte Damen und Herren.

Entschuldigen Sie. Mein Name ist Herbert.

Ich verkaufe die Literaturzeitschrift «Der Straßensänger» zum Preis von zwei Mark. Eine Mark von jeder Ausgabe geht an den Verkäufer, eine Mark bekommt der Autorenverein «Wanderndes Wort e.V.». «Wanderndes Wort» setzt sich dafür ein, heimatloser Poesie ein Obdach zu schaffen. Dieser Verein erhält keinerlei Unterstützung durch öffentliche Gelder und ist auf Ihre Spende angewiesen. Ich bin selbst Literat ohne geistiges Zuhause und muß jeden Tag zehn Gedichte verkaufen, damit ich nicht auf der Straße schlafen muß. Helfen Sie der Dichtkunst! Wir brauchen jede Spende und jedes freundliche Wort! In der aktuellen Ausgabe vom «Straßensänger» gibt es jede Menge gute Gedichte von mir über das Werden und das Vergehen, über mein Leben und die Gesellschaft, über Eros und Thanatos, wenn Sie wissen, was ich meine. Außerdem schreibe ich einen Roman über einen Schriftsteller, der die Gegenwart und die Gesellschaft kritisch hinterfragt und dafür von den Menschen zurückgewiesen wird und keine Frau bekommt.

Sehr geehrte Damen und Herren.

Liebe ist so wichtig in unserer Zeit. Ein bißchen Liebe täte mir wirklich gut. Ich habe keine Freundin. Möchtest Du meine Freundin sein? Bitte unterstützen Sie «Wanderndes Wort e.V.» durch ein bißchen Liebe oder durch den Kauf der Literaturzeitschrift «Der Straßensänger».

Sehr geehrte Damen und Herren. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich bedanke und entschuldige mich.


© Herbert Braun 2001 • Kommentare? -> Wortwart@Woerter.de