Sie lernten sich kennen, als sie sich trafen. An einer Hausecke, einer gewöhnlichen Hausecke geschah's. Kurt schritt mit großen Schritten aus, vielleicht pfiff er sogar. Kam er gerade von einem gelungenen Geschäftsabschluß nach Hause, hatte er ein Haus verkauft, einen lästigen Angestellten entlassen oder einen Supermarkt erworben? Antonia weiß heute nicht mehr, warum sie gerade an dieser Hausecke anzutreffen war. Wahrscheinlich kam sie vom Frisör und wollte einen kleinen Schaufensterbummel machen, als just
«O, entschuldigen Sie, meine Dame!», rief Kurt, aufrichtig erschrocken und glättete seinen maßgeschneiderten Anzug.
Gut sah er darin aus.
Antonia lag blond auf dem Pflaster, die Arme. Kurt war ratlos, er wußte gar nicht warum. Die Beine dieser Frau steckten so lang und so zart in den schmalen Schuhen, sie mußten bei jedem Schritt umknicken. Der schmale Leib klemmte zwischen den ausladenden Hüften und den üppigen Brüsten, die wie traurige Torten auf dem Pflaster lagen. Das Gesicht, von ach wie blonden Haaren umkränzt, war auf eine so rührende Art teigig, Kurt konnte kaum noch an sich halten.
«Entschuldigen Sie bitte, es ist mir so »
Kurt fühlte die feingliedrigen, kühlen Finger der Dame in seiner großen Hand. Kurt stammelte.
Vier Monate später waren sie verheiratet.
Tagsüber arbeitete Kurt in seiner großen, erfolgreichen Firma. Unersättlich, unermüdlich telefonierte er, schrieb, fuhr herum, besuchte Kunden, besichtigte, studierte Akten, tagte, entschied, unterschrieb. Abends, spät abends war er bei seiner Antonia. In ihren weichen Armen freute er sich über seinen Besitz und seine Kraft, er versank in ihr wie eine Wolke. Und wenn er wieder auftauchte, wußte er nichts mehr. Er liebte sie. Er sah, daß sie ihn liebte, mit stummer, zärtlicher Ergebenheit.
«Ich verehre, ich vergöttere, ich liebe dich!», rief Kurt, als er an dem weißen, wolligen Busen Antonias schaukelte wie ein Schiff in seinem Heimathafen. Er küßte ihren Mund, ihre Beine, ihre langen, schwachen Arme mit den feinen blonden Härchen darauf. «Ich könnte dich auffressen, ja, ich möchte dich ganz und gar bei mir haben!» Kurts Augen glänzten. «Stell dir vor, wie ich an deinem Finger sauge und knabbere und beiße, wie ich mit einem scharfen Biß» kleine Schauer liefen über Kurts Rücken «deinen schönen, langen, zarten, feingliedrigen Finger abbeiße!»
Nichts wäre passiert, gar nichts.
Hätte ihm nur nicht Antonia mit zitternden Lippen ihren Finger entgegengestreckt.
Antonia hat heute keinen linken Arm mehr; vom rechten ließ ihr Kurt noch den gesamten Oberarm, denn schließlich kann er sich beherrschen. Im Laufe der Jahre war er, nicht zuletzt aus hygienischen Gründen, vom Abbeißen zum Abschneiden mit einem eigens nur dafür bereitgelegten, scharfgewetzten Messer übergegangen. Kurt nahm viel Rücksicht auf Antonia, das hatte er immer getan. Er schnitt nur kleine, hauchdünne Scheibchen von Antonias Armen ab, und auch das nur wenn er sich (und sie) in höchster sexueller Ekstase befand. Oft fragte er sie, ob es ihr auch keine Schmerzen bereite, wenn das scharfe Messer durch ihr Fleisch schnitt. Aber Antonia antwortete, daß ihr das überhaupt nicht wehtue, sondern daß der Schmerz vielmehr einem seltsamen, ganz inwendigen und durch Mark und Bein zitternden Kitzel gleiche.
Kurt begehrte Antonia ohne die Arme noch viel mehr. Das Personal besorgte ohnehin die Arbeit, Kurts Schneider spezialisierte sich allmählich auf Antonias Anatomie und zeigte großes Geschick darin. Gelegentlich dachten oder riefen die Menschen, wenn sie Antonia sahen: «So eine hübsche, so eine junge Frau! Die Arme!» Aber Antonia blieb lieber zu Hause.
Nur manchmal wurde Kurt mürrisch und still. Seine Antonia mochte er dann gar nicht sehen. An Tagen wie diesen stieg Kurt in sein schönstes Auto und fuhr zu seinem Jagdhaus. Dann ließ er die Sauna beheizen und setzte sich hinein, nicht ohne sich zuvor eine eisgekühlte Flasche Wodka bringen zu lassen. Kurt stellte sich dann seltsame Fragen, ohne irgendeine Antwort darauf finden zu können; dafür hatte er den Wodka, den er in großen Zügen austrank.
Meistens ging es Kurt danach wieder gut.
© Herbert Braun 2001 Kommentare? -> Wortwart@Woerter.de